Kreta 1971 – das erste Mal

Wie und warum es alles anfing …
Im Frühjahr 1971 war mein Wehrdienst zu Ende. Ich beschloss, mir erst einmal eine nette Auszeit zu nehmen. Was ich in dieser Auszeit tun oder auch nicht tun wollte, war nicht schwierig zu entscheiden. Ich war seit meinem 12. Lebensjahr aktiv „jugendbewegt“, d. h. Mitglied in einem Wandervogelbund, der zwei alte Burgen sein eigen nannte: Burg Waldeck im Hunsrück und Burg Hohlenfels im Taunus. Da die Hohlenfels als Ganzes besser erhalten war, es gab immerhin über 30 bewohnbare Räume, und dort auch die Leute verkehrten, die mir mehr zusagten, zog ich für etwas mehr als ein Jahr fest auf die Burg.

Es gab damals auf beiden Burgen eine sogenannte „Bauhütte“, d. h. junge Leute lebten und arbeiteten dort ohne Entgelt, nur für Kost und Logis (ein kleines Taschengeld für Zigaretten etc. verdienten wir uns manchmal außerhalb nebenbei).

Als es Sommer wurde, setzten wir uns zusammen, denn Urlaub sollte es schließlich auch geben. Ein Urlaub, den wir so nicht nannten … denn als Wandervogel macht man keinen Urlaub, sondern eine „Großfahrt“! Wir unterhielten uns also über das Ziel. Einer der Vorschläge war Sardinien, was ich aber ablehnte, da ich dort erst ein Jahr zuvor gewesen war und mein damaliges Credo lautete: „Niemals zwei Mal in das gleiche Land und schon gar nicht auf die gleiche Insel!“

Mein bester Freund Wanja brachte dann Griechenland ins Spiel, da sei er schon zwei Mal gewesen und könne auch schon die wichtigsten Worte Griechisch (ich lache nachträglich darüber, was er für Griechisch hielt und mir damals auch vermittelte – egal, es hat auch mit diesem Pidgin geklappt). Und irgendwann kristallisierte sich heraus: Diesmal sollte es Kreta sein. Da wir uns wenig für Politik interessierten, wussten wir zwar, dass es in Griechenland seinerzeit eine Militärdiktatur gab, aber uns stellte sich irgendwie nicht die Frage, deshalb das Land zu boykottieren. Und wenn sie sich uns gestellt hätte, würde ich darauf geantwortet haben: „Schadet es den Obristen oder den Tavernenbesitzern, wenn wir nicht hinfahren?“
Damit war die Frage nach dem wohin geklärt.

Die zweite Frage war dann, wer fährt überhaupt mit. Was wird uns die ganze Sache denn so ungefähr kosten etc. Nun, es gab da niemanden, den man ernsthaft fragen konnte. Höchstens unsere eigenen „Erfahrungswerte“ aus den vergangenen Jahren, aber aus anderen Ländern (denn außer Wanja war noch niemand von uns jemals in Griechenland gewesen).

In den nächsten beiden Wochen stellten wir fest, dass sich in diesem Jahr augenscheinlich viele unserer Freunde und Bekannten ebenfalls für Kreta entschieden hatten. Mal abgesehen von uns, würden sich also mindestens fünfunddreißig unserer „Bundesbrüder“ zur fraglichen Zeit irgendwo auf der Insel herumtreiben.

Und wir kamen auch auf die stolze Zahl von acht Jungs. Wanja und ich waren mit 24 und 20 die ältesten, die anderen zwischen 11 und 17 Jahren …

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Es stellte sich nunmehr die Frage nach einem geeigneten Transportmittel, das wir nicht besaßen. Für acht Leute brauchte man ja mindestens einen VW-Bus (und unserer war derzeit kaputt und hatte sowieso seit Jahren keinen Versicherungsschutz mehr – damit konnte man vielleicht durch die DDR nach Berlin fahren, aber nach Kreta?). Also hörten wir uns in der Nachbarschaft der Burg um, und einer der Einheimischen – ein Automechaniker – , der uns schon immer gewogen war, weil er mit seinen Freunden regelmäßig Vorderladerschießübungen bei uns im Außenhof absolvieren durfte, kam eines Tages vorbei und meinte: „Kommt mal runter in den Vorhof, ich glaube, ich habe da was für euch!“

Wir folgten ihm in gespannter Erwartung und waren erst mal baff, was da im Hof stand. Nicht etwa der gewünschte VW-Bus, nein, uns erwartete ein „Monstrum“: Ein Tempo Matador mit Doppelkabine sowie Ladefläche, Plane und Spriegel … 5,24 Meter lang, 1,76 breit, Baujahr 1952.
„Wollt ihr ihn mal Probe fahren?“

Natürlich wollten wir! Und wir scheuchten den 2,5 Tonner mit seinen sage und schreibe 54 PS die kurvenreichen Sträßchen in der Umgebung hinauf und hinunter, immer abwechselnd, denn wir konnten beide (Wanja und ich) nach nur kurzer Eingewöhnungsphase von der Kiste nicht genug kriegen. Vor allem imponierte uns der Fronantrieb, denn der Wagen zog wesentlich besser durch die Kurven als die Heckschleuder VW-Bus (der ja nur 30 PS hatte, wenn er auch leichter war) – ideal für Kretas Straßen, dachten wir uns, obwohl wir beide noch nie eine davon gesehen hatten.
„Aber dürfen wir damit 8 Personen befördern?“

„Für Deutschland und Österreich bauen wir halt hinten noch eine Sitzbank aus eurem Schrottbus drauf mit einer Alarmklingel in die Fahrerkabine … und in Griechenland ist das sowieso egal!“ Gesagt getan! Als alle Arbeiten erledigt waren und ich außerdem noch einen Schnellkurs gemacht hatte, welche Teile an diesem Auto kritisch werden könnten und wie man die typischen Probleme behebt (dieser Kurs sollte sich später noch als sehr nützlich erweisen), zweitens die entsprechenden Schrauben, Muttern, Kleinteile, Werkzeuge etc. an Bord waren, stand einem Aufbruch kaum noch was im Wege … für mich aber stellte sich (nicht) ganz überraschend plötzlich ein persönliches Problem. Wanja hatte lange herum gerechnet und veranschlagte nun pro Person 500-600 DM als Gesamtkosten für die fünf bis sechs Wochen, die wir gedachten, unterwegs zu sein.

Und ich besaß incl. aller Reserven nur noch ca. 150 DM. Also sagte ich abends schweren Herzens zu ihm: „Ich glaube, ich muss verzichten, ich kriege das Geld nicht zusammen. Fahrt ohne mich!“ Und ging sehr traurigen Herzens schlafen …

Auch am nächsten Morgen war ich nicht fröhlicher, denn ich hatte physisch wie psychisch in diese Fahrt schon einiges investiert. Jetzt nur zuzuschauen, wie die anderen davonfuhren, würde mir wahrscheinlich ziemlich weh tun.
Doch Wanja strahlte mich an, als ich mit Leichenbittermiene zum Frühstück getrottet kam: „Mach dir keine Sorgen, ich habe gestern ein bisschen rumtelefoniert. Es ist alles geregelt. Die Eltern von den Jungs, die mitfahren, haben zusammengelegt. Mit deinen 150 Mark haben wir jetzt sage und schreibe 700 zusammen.“

Beinahe hätte ich ihn geknutscht. Das war typisch Wanja, immer gut drauf und nie um eine Idee verlegen.
Nun stand es fest: In diesem Jahr würde ich zum ersten Mal Kreta betreten! Und das für Gesamtkosten von 150 DM für mich. Jubel …
Nein, ich kam mir nicht wie ein Schmarotzer vor, denn ich hatte und hätte niemand um einen Pfennig gebeten und außerdem wäre Wanja sonst der einzige Fahrer gewesen … in der Praxis stellte sich später heraus, das ich etwa 80% aller gefahrenen Kilometer am Steuer gesessen hatte.

Da jetzt alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, legten wir den Abfahrtstermin endgültig auf eine Woche später fest. Außerdem telefonierten wir auch die anderen Gruppen an, die zur gleichen Zeit fahren würden, und gaben die Parole aus: „Wer Lust hat, wir treffen uns Mittwochabend der nächsten Woche im Dorf am Fuß des Olymp (wir wussten den Namen nicht, aber es gibt nur eines) in der ersten Kneipe links!“ Wir gingen einfach davon aus, dass es in jedem griechischen Dorf eine „erste Kneipe links“ gibt … und wenn nicht, ist das Dorf eh so klein, dass man sich nicht verfehlen kann.

Genauere Ortsbeschreibungen gab es während der ganzen Tour nicht … für uns war so etwas eben genau genug. Und auch auf weitere Planungen verzichteten wir gänzlich. Erstens gab es nichts, nach dem wir hätten planen können, keine Reiseführer mit praktischen Hinweisen, kein Internet … und noch nicht mal irgendwelche Leute, die wir und die Kreta schon kannten.
Also einfach drauflos und schauen, was der nächste Tag uns bringt, das war eigentlich schon immer unsere Philosophie und so würde es auch diesmal sein.

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