Kreta 1973 -Teil 3

Nach einer knappen Stunde hatte ich die Nase voll. Ich war es wie schon erwähnt aus Sardinien gewohnt, dass man schnell und unproblematisch mitgenommen wurde, aber hier lief das offensichtlich zumindest heute nicht. Also schulterte ich den Rucksack und die Gitarre wieder und wanderte die paar Schritte zurück ins Dorf. Vom Platz am Dorfeingang zweigt eine schmale Gasse im spitzen Winkel ab. Direkt am Anfang dieser Gasse gab es damals – es gibt sie schon lange nicht mehr – eine kleine Souvlakibraterei, in die ich einkehrte, denn es war Mittag und ich hatte Hunger.

Eine Stunde später etwa war der Hunger sehr erfolgreich gestillt, aber mir kam nicht in den Sinn, mich wieder an die Straße zu stellen. Ich würde einfach am nächsten Tag den Frühbus um sieben Uhr nehmen (damals der einzige Bus).
Der Wirt stellte ungefragt ein weiteres Kilo Wein vor mich hin und wies ebenso fragend wie freundlich auffordernd auf meine Gitarre, die hinter mir an der Wand lehnte.

Wir verbrachten den Rest des Nachmittags (und des Abends) also mit Musik.
Irgendwann saß ein Mädchen neben mir, an dessen Aussehen ich mich nicht mehr erinnere. Ich weiß nur noch, dass sie einen dieser grob gestrickten kretischen Wollpullover trug, die damals bei Touristen sehr in Mode waren … einmal in die Waschmaschine und man konnte sie wegwerfen.
Bei jedem Lied rückte sie mir ein wenig näher. Irgendwann sprachen wir auch miteinander. Sie war Engländerin und fragte mich, wo ich denn eine Bleibe hätte. Erst in diesem Moment fiel mir auf, dass ich vor lauter Wein und Gesang daran noch gar nicht gedacht hatte. Ich sagte, ich würde wohl irgendwo draußen unter den Bäumen schlafen, doch sie informierte mich, sie habe ein Zimmer zwei Häuser weiter und da sei noch ein Bett frei. Wenn ich denn wollte …

Kann man ein solches Angebot ablehnen, ohne unhöflich zu sein? Ich war noch selten im Leben unhöflich gewesen und zog also gegen etwa drei Uhr morgens mit ihr ab. Alle weiteren Einzelheiten möchte ich hier nicht wiedergeben, außer vielleicht, dass es in ihrem Zimmer kein freies zweites Bett gab.

Am nächsten Morgen erwachte ich durch lautes Hupen auf der Straße. Ich lief zum Fenster und sah den Frühbus, den ich hatte nehmen wollen, soeben abfahren. Was soll’s, wenn nicht, dann eben nicht. Ich kroch ins Bett zurück.

Man mag es übertrieben finden, aber diese Geschichte wiederholte sich drei Tage lang. Morgens verschlief ich regelmäßig den Bus, weil die süße Engländerin dafür sorgte, ich stellte mich ein bis zwei Stunden der Form halber an die Straße, bekam aber keine Mitfahrgelegenheit, kehrte wieder in das Lokal zurück und verbrachte auch die nächste Nacht am gewohnten Ort.

Dann aber überkam mich allmählich so etwas wie ein schlechtes Gewissen, denn vermutlich machten sich die beiden anderen allmählich Gedanken, wo ich denn blieb. Und dann fasste ich den Entschluss, die nächste Nacht zwar in Morpheus, aber nicht in Jennys Armen zu verbringen – in diesem Moment fällt mir sogar ihr Name wieder ein – sondern mal „Butter bei de Fische zu tun!“

Nach einem sehr netten Abschied („I really don’t want to leave, but I have to“) rollte ich meinem Schlafsack auf dem Asphalt aus, auf dem der Bus morgens zu wenden pflegte – und so verpasste ich ihn diesmal nicht. Er hätte über mich drüber fahren müssen … Jenny stand übrigens oben am Fenster, wir winkten uns kurz zu, natürlich habe ich sie nie wieder gesehen (und sie hat mich sicherlich längst vergessen).

Die beiden anderen erwarteten mich wie verabredet in Chaniá. Sie hatten den Bulli längst vom Omalós abgeholt und fragten mich freundlicherweise nicht, warum ich so lange gebraucht hatte. Und da ich damals noch ein Gentleman war, erzählte ich ihnen auch nichts. Aber genossen habe ich die Tage sehr, wen wird es wundern.