Martinis Katastrophenmanagement

Von Martin Keller

Martini lag auf der Terrasse seines Hauses und ließ das Jahr Revue passieren. Nach einer Unterhaltung mit seinem Freund Frangiskos war er erstmals in seinem Leben ins Grübeln gekommen. Frangiskos war ein Freund, den man eigentlich nur aufsuchte, wenn alles schief lief und man dringenden Rat oder persönliche Hilfe brauchte. Frangiskos Hilfe war nicht umsonst, denn er war Martinis Psychiater. Wenn er genau überlegte, hatte er im letzten Jahrzehnt mit seinen psychischen Problemen Frangiskos fast zum Drachmenmillionär gemacht. Frangiskos hatte ihn im letzten Jahrzehnt auf allen Höhen und Tiefen begleitet. Martini schenkte sich das achte Amstel ein und begann über sein zurück liegendes Leben zu sinnieren. War es wirklich so, dass er sozusagen, die „Scheiße an den Hacken“ hatte? Hatte es irgendetwas mit Kreta zu tun? Sollte es „Zeus‘ Fluch“ sein, der ihn verfolgte?

Martini versuchte sich an das letzte Jahrzehnt zu erinnern und grinsend erkannte er ein gewisses Muster. Martinis Weg auf Kreta teilte sich bislang in 3 Gruppen: Die 93ger, die 94-96ger und die 2000er Gruppe.
Jedes Jahrzehnt hat für Martini im allgemeinen Highlights an Katastrophen, an denen er messen konnte, wie weit seine Gelassenheit zugenommen hatte und wann es wieder Zeit wurde, Frangiskos aufzusuchen und auf seinem plüschrotes Sofa das Jammern anzufangen.

Die sogenannte 93iger Gruppe war der Beginn seiner ersten psychischen Probleme, es war das Jahr, in dem er beschloss, sein Leben zu verändern. 1993 gab Martini seine Arbeit im regenverhangenen Deutschland auf, vermietete sein Haus, packte den Container voll, nahm seine Frau und die 2 Kinder und siedelte nach Kreta über. Selbständig wollte er sich machen, in der Sportbranche, viel Geld, immer Sonne, und dem Stress entfliehen. Das war ein „voller Erfolg“, nach nur 9 Monaten war er um 100.000 DM ärmer, arbeitslos, hatte Mieter in seinem Haus und war deshalb zunächst wohnungslos und gefrusteter als je zuvor.

Während der 94-96er Gruppe betätigte er sich als Wiederholungstäter aus. In einem Rundumschlag gegen alle, die ihn in der 93iger Gruppe das Leben zur Hölle machten, konnte Martini durch jahrelange Klagen vor Gericht sein Geld und seine Ehre zurück erlangen. In dieser Zeit der Klagen war er sehr oft in einer Taverne in einem kleinen Bergdorf. Hier dachte er ebenso oft, wenn er erst mal seine sauer verdiente Kohle zurück hätte, würde er vielleicht in diesem Dorf ein Grundstück kaufen, denn irgendwie strahlte dieses Dorf eine innere Ruhe aus.

Was dann passierte, machte Frangiskos zum Besitzer eines neuen Reitpferdes. Martini kaufte ein Grundstück, baute ein Haus und danach war Ende 96 seine Ehe kaputt, alles Geld steckte in seinem Haus und den Hypotheken und der Traum war mal wieder ausgeträumt.
Frangiskos meinte in der Zeit immer wieder: „Gib nicht auf, denn hier auf Kreta ist alles anders und alles möglich.“ Martini goss sich das zehnte Amstel ein und dachte schmunzelnd an die 2000er Gruppe.

Als überzeugter Wiederholungstäter gibt man tatsächlich nicht auf, jedenfalls nicht, wenn man einen guten Psychiater hat. Im Jahr 2000, im neuen Jahrhundert, dachte Martini, muss doch alles besser werden. Also wagte er unerschütterlich den nächsten Schritt, seinen Traum zu verwirklichen und auf Dauer auf Kreta zu leben.
Mit neuer Lebensgefährtin machte er sich wieder auf: Arbeit kündigen, Haus vermieten, alles zu Geld machen und Freiheit atmen. Aber diesmal war da noch der Faktor „Kinder einer der besten Lebensgefährtinnen der Welt“, denn die meinten (während er auf Kreta die Kartons auspackte) in Deutschland: „Nein, wir wollen doch nicht mit!“

So hing Martinis Leben eigentlich nur noch an einem seidenen Faden und Frangiskos verdiente sich seinen Swimmingpool. Zurück in Deutschland, wieder arbeitslos, ohne Perspektive, begann bei Martini erstmals das Gehirn seine Funktion aufzunehmen!
Warum alles Geld in Psychiater, Häuser und Sonne investieren? War vielleicht Kreta doch nicht sein Endziel? Martini fragte seinen Freund Frangiskos, der ihm in Vorahnung eines neuen Bungalows riet, es doch mal etwas mehr mit Vorbereitung zu planen!

Martini fasste folglich den Entschluß, alle Faktoren auszuschließen, die ihn an seiner neuen 2005er Gruppe hindern konnten. Und so sahen seine Überlegungen aus:
1. Warten, bis die Kinder aller Ex-Frauen erwachsen sind.
2. Alle Kinder der „besten Lebensgefährtin der Welt“ möglichst bald verheiraten.
3. Seine Mieter raus klagen und das Haus verkaufen.
4. Soviel Geld verdienen, dass er Psychiater im großen Stil bezahlen kann.
5. Noch mehr Geld verdienen, um niemals wieder seine Arbeit kündigen zu müssen, denn mit noch mehr Geld würde er niemals wieder arbeiten müssen!
6. Überlegen, welche Katastrophen ihn in Zukunft unberührt lassen sollten.

Martini stand auf, stellte fest, daß er 3 Kästen Amstel getrunken hatte, erbrach sich und beschloss, in Zukunft etwas weniger zu trinken sowie am nächsten Morgen seinen Psychiater aufzusuchen, um einen Mengenrabatt auszuhandeln. Frangiskos jammerte, wie er denn nun seine Familie durch den Winter bringen sollte … und überhaupt, der Euro stehe vor der Tür und werde garantiert sein Geschäft ruinieren.
Martinis zähe Überzeugungsarbeit liess Frangiskos aber dann doch einlenken. Er lobte seine guten Vorsätze, hoffte aber insgeheim auf Martinis verlässliche Fehlplanungen und auf die Übernahme von Martinis Haus!

Wie Frangiskos durch seine Mittelsmänner in Nordeuropa erfuhr, ist Martini auf dem allerbesten Weg, ihn nicht zu enttäuschen. Martini hatte 2000 mit einer Umschulung begonnen, um bis 2005 durchzuhalten. Diese ödete ihn wenig später aber sehr an und er träumte insgeheim von einer Vorverlegung seiner 2005er Gruppe in eine 2001er Endkatastrope. Zu Ostern will er wieder nach Kreta kommen. Und Frangiskos denkt klammheimlich schon über die final zu ergreifenden Maßnahmen nach!

Von Martin Keller