Obwohl es heute Nacht nach Kreta geht, bin ich ausgesprochen mies gelaunt. Kein Wunder … nach nur einer Stunde Schlaf. Ich habe mitten in der Nacht erst gepackt und garantiert die Hälfte vergessen. Um kurz nach zwei Uhr klingelt der Wecker. Im Bad führe ich das übliche Zwiegespräch: „Ich weiß zwar nicht, wer du bist, aber ich rasiere dich trotzdem!“
Dann ist mein „Taxi“ in Form einer lieben Freundin, die sich für mich die Nacht um die Ohren schlägt, schon da. Und ich nerve sie auch noch mit meiner schlechten Laune.
Die Abfertigung am Flughafen zieht sich hin, dafür fliegen wir pünktlich ab. Nach dem Frühstück zeigt das Bordfernsehen einen Lehrfilm: „Warum fliegen Flugzeuge eigentlich?“ Es ist so spannend, dass ich einschlafe und den zweiten Teil verpasse: „Warum stürzen Flugzeuge gelegentlich ab?“ Und das ist auch gut so.
Ich werde wach, als wir gerade Santoríni überfliegen. Neben mir sitzt plötzlich eine sehr junge Dame, die sich den Hals verrenkt (sie ist das erste Mal überhaupt mit dem Flugzeug unterwegs). Also biete ich ihr meinen Fensterplatz an und unaufgefordert noch diverse Informationen über den Vulkanausbruch, die Caldera und den schwarzen Sand von Santoríni.
Als das Flugzeug nach Kreta rechts einschwenkt, erzählt sie mir, dass sie mit Mutter und Schwester (die hinter uns sitzen!) in Chersónissos wohnen werde. Das war „just in time“, denn wir fliegen gerade daran vorbei.
„Toll,“ sagt sie, „überall Swimming Pools!“ Das Meer direkt daneben übersieht sie irgendwie, aber wir fliegen ja schon die ganze Zeit darüber hinweg.
Der Pilot legt eine der sanftesten Landungen hin, die ich je in Iráklion erlebt habe.
Passkontrollen sind wegen des Schengener Abkommens nun endgültig passé, dafür dauert es um so länger, bis das Gepäck kommt. Der erste Koffer, der wie meiner aussieht, kommt allerdings aus Tschechien. Meiner taucht später zusammen mit der Gitarre anderswo auf.
Lambros wartet draußen wie üblich mit dem Auto auf mich. Jetzt kennen wir uns schon so viele Jahre und er sagt immer noch „Kyrie Klaus“ zu mir. Ich bin einen Moment enttäuscht, als er mich statt des bestellten Jeeps zu einem Suzuki Swift führt.
„Den Jeep haben wir erst ab Dienstag wieder, egal, wo du auf Kreta bist, wir bringen ihn hin und tauschen die Autos aus!“
Sein Chef Jorgos begrüßt mich im Büro von Citycar herzlich. Fast zwei Stunden sitzen wir da und quatschen über Gott und die Welt. Dann einigen wir uns darauf, dass ich vorerst nur für den Swift bezahle (natürlich nur einen Appel, nicht mal ein Ei dazu) und spätestens Montag anrufe, wenn ich einen Fahrzeugaustausch will (und dann die Differenz nachzahle). Dann entlässt er mich auf Kretas Straßen.
Ich habe entgegen meiner üblichen Hinweise, sich auf Kreta nicht zu viel vorzunehmen, ein volles Programm für diese zwei Wochen lose im Hinterkopf. Heute will ich zuerst mal zu Rainer nach Ierápetra. Der erste Halt in Mália. Es hat sich nicht viel geändert.
So bleiben Diktiergerät und Kamera weitgehend in der Tasche, denn die hatte ich nicht dafür mitgenommen, leicht bekleidete Touristinnen auf dem Weg zum Bade zu fotografieren. Als ich später schon fast in Síssi bin, ärgere ich mich dann doch, dass ich aus Rücksicht oder Schüchternheit die alte Frau, die in Mália Bananen feil bot, nicht fotografiert habe. Auch Síssi hat sich übrigens kaum verändert und das ist auch gut so.
Allmählich wird es richtig heiß und ich bin froh, auf der Strecke nach Ágios Nikólaos eine halbe Stunde unter den schattigen Kiefern des Klosters Agíou Giórgou Selinári rasten zu können. Dazu erfrischt das kühle Wasser aus dem Klosterbrunnen.
Da ich erst letztes Jahr länger in Ágios Nikólaos war, lasse ich den Ort diesmal links liegen. Neben der kurvenreichen Strecke Richtung Osten sind an einigen Stellen schon neue Brücken zu sehen, die Kreter treiben ohne große Rücksicht auf die Landschaft den Bau der „New Road“ weiter voran. Für den Verkehr mag das ja ein Fortschritt sein, optisch überzeugt es mich allerdings wenig. Kurz vor Istró entdecke ich neben der Straße eine antike Straßenwalze, die am Bau der Neubaustrecke wohl nicht mehr aktiv beteiligt ist. Die ist doch ein Foto wert!
Langsam bekomme ich Hunger. Da war doch in Istró dieses nette Lokal, in dem ich vor zwei Jahren mehrmals gegessen und auch schon manchen Abend Gitarre spielend und singend verbracht habe. Also rechts ran und mal kurz „kalí méra“ sagen.
Jannis erkennt mich erst auf den zweiten Blick, dann allerdings heftig. Er will sofort wissen, wo ich bleibe, wohne oder hin will. Als ich „Ierápetra“ nenne, winkt er ab und meint „vielleicht morgen! Heute bleibst du auf jeden Fall hier. Wir haben ein Zimmer für dich, kein Problem! Hast du deine Gitarre dabei?“
Die habe ich immer dabei! Und weil ich wegen der Kürze der vergangenen Nacht noch immer müde bin, hat er mich schon überredet.
Die Aussicht auf einen Nachmittagsschlaf in einem kühlen Bett ist verlockend, und keiner wartet auf mich. Meine beiläufige Frage nach dem Zimmerpreis weist Jannis kategorisch zurück: „Du bist unser Gast. Es reicht, wenn du heute Abend spielst und singst, nachdem Du gut gegessen hast, dann haben wir eine schöne Zeit miteinander!“
Zuerst einmal wehre ich mich nach Kräften, beuge mich dann aber seinem Heimrecht und den Gesetzen der Naturalwirtschaft. Immerhin einigen wir uns darauf, dass ich für Essen und Trinken bezahlen darf (und ich glaube in einer gewissen Form temporärer Naivität sogar daran).
Ein Bier später genieße ich von der Terrasse des Appartements (von wegen „Zimmer“) den Blick auf die Bucht von Istró und dann gehe ich erst mal schlafen. Das war vernünftig, denn es wird eine sehr lange Nacht.
Jannis hat umgehend ein paar Freunde alarmiert und bis auf einen leicht verrückten älteren Herrn aus Sitía, der den ganzen Abend lang fünf englische Touristinnen verzweifelt mit Wodka-Lemon abfüllte und dann doch außer ein bisschen Knutscherei nicht zum Zuge kam, verlief alles harmonisch. Allerdings wurde es wirklich sehr spät, denn als das Lokal um Mitternacht schloss, ging es erst richtig los.