Vathý Iremía: Die „tiefe Stille“ südlich von Mátala

Von der Schotterstraße zwischen Sívas und Kalí Liménes zweigt am Kloster Odigítrias ein Fahrweg ab, an dem ein Schild „Vathý Iremía“ aufgestellt ist. Als ich diesen Wegweiser das erste Mal sah, las ich versehentlich „Vathý Erimiá“, was „tiefe Einsamkeit“ bedeutet, und war natürlich sehr gespannt, was das für eine Einsamkeit sein könne, in die es sogar einen Wegweiser gibt!

Außerdem findet sich im weiteren Verlauf der Strecke mehrfach ein Hinweisschild nach „Mártsalo“ (eine Kapelle oberhalb des Meeres, nicht etwa die falsche Schreibweise von Mátala). An einer der späteren Abzweigungen weist das Schild nach „Vathý“ links hinunter, wenig später wird der Weg deutlich schlechter und verlangt einen geübten Fahrer oder Allradantrieb, um wieder hinauf zu kommen (am besten natürlich beides).

PicturesOG/stille3.jpgDie „tiefe Stille“ entpuppt sich als eine wunderschöne Badebucht, die zwischen dem Kap Líthino und Mátala liegt, sie schneidet tief in die Felshänge ein und verfügt über kristallklares Wasser sowie einen schönen (schattenlosen) Sand-Kieselstrand, dem in Mátala ähnlich.

Trotz der großen Einsamkeit und der tiefen Stille gibt es tatsächlich Abfalltonnen am Strand, die der einzige Bewohner und Eigentümer dieses schönen Fleckchens Erde, Nikos Sifákis, dessen Familie aus Gérgeri bei Zarós stammt, hier aufgestellt hat.

Übrigens liege ich möglicherweise falsch mit meiner Übersetzung „tiefe Stille“, auch wenn sie  sprachlich korrekt ist. Aber ich wurde belehrt, dass „Vathý“ hier wohl nicht als Adjektiv zu verstehen ist, sondern einfach als Bezeichnung für eine tief eingeschnittene Bucht (mit dem Namen „Stille“). Ich bin bereit, das nicht völlig von der Hand zu weisen und danke für den Hinweis, Wolfgang.

Nikos lebt hier das ganze Jahr über mit seinen Schafen (und seinem Allradauto natürlich) und getreu dem Motto „wo ein Grieche ist, gibt es auch ein Kafenío oder eine Taverne“ betreibt er ein(e) solche(s), ohne elektrischen Strom freilich und mit sehr eingeschränktem Angebot … und vermutlich nur als Hobby, denn es verirren sich nur wenige potentielle Gäste hierher. Nur dann und wann schippert ein Boot aus Mátala ein paar Gäste hierher, dann sitzt man zusammen, isst und trinkt. Nikos spielt auch Lyra und war richtig enttäuscht, dass ich meine Gitarre nicht dabei hatte, um mit ihm zusammen zu spielen. Er fragte mich: „Wie kannst du ohne Waffe in den Krieg ziehen?“ Zum Glück fiel mir die passende Antwort schnell ein: „Wie konnte ich in dieser schönen Bucht erwarten, Krieg zu finden?“

Einige halbfertige hässliche Bauten oberhalb seines Hauses am Hang zeugen von dem abgebrochenen Versuch anderer Kreter, sich hier zumindest für den Sommer niederzulassen, und so wohnt Níkos hier bisher ganz allein. Die „tiefe Stille“ ist garantiert! Wer genug Zeit und Fleisch (erstere hat Níkos selbst genug, letzteres kann er mangels Kühlmöglichkeit nicht lagern) mitbringt, dem (und sich) bereitet er es gerne im holzgefeuerten Freiluft-Backofen zu. Während der Garzeit kann man die zahlreichen Halb- und Ganzrelief-Steinmetzarbeiten von Níkos bewundern, die er ringsum aufgestellt hat.
Natürlich erlaubt er auch das wilde Campen, und da ihm die ganze Gegend gehört, ist es auch nicht mehr richtig „wild“. (KK)