Forumshymne gesucht

Vorbemerkung: Es wird ebenso gerne wie fälschlich behauptet, dass der Mensch ein Individuum sei, hat er doch – jedenfalls wenn er noch nicht im Krieg war oder zu früh ein schnelles Auto fahren durfte – zwei eigene Arme, zwei eigene Beine und … einen eigenen Kopf, in dem rein theoretisch auch ein eigenes Gehirn wohnt. Tatsächlich ist der Mensch aber in seiner Evolution nicht wirklich so weit fortgeschritten, dass es ihm Freude macht, sein individuelles Gehirn auch immer individuell zu nutzen.

Im Gegenteil, nichts bereitet ihm mehr Freude, als sein Gehirn mit dem anderer, gleichgesinnter Menschen auf eine Wellenlänge zu bringen, nennen wir es ruhig, zu verschmelzen (es gibt ja diverse Science Fiction Filme, in denen das gerne thematisiert wird).

Was macht der Mensch zu diesem Zwecke? Er gründet einen Verein oder so etwas Ähnliches. Und nichts bereitet ihm mehr Spaß, als sich dort zu uniformieren, zu trikotisieren, Fahnen zu schwenken etc. etc. … sprich, sich der Masse anzupassen, statt sich daraus hervorheben zu wollen. Und damit hat folgende Geschichte zu tun … Vorsicht, es ist eine Satire.

Es begab sich also zu der Zeit … nein so fängt schon eine andere Geschichte an! Also noch einmal: Es waren einmal zwei Leute, die gründeten einen Verein. Sie hatten ein gemeinsames Interesse, das sie mit vielen teilten, wie sie wussten, und das war Kreta, die große Insel im Mittelmeer, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wusste, was auf sie zukam. Als der Dritte hinzu kam, hätte der Verein sich den Gesetzen der Logik gleich wieder spalten müssen, doch das blieb diesmal ausnahmsweise fast aus und so wuchs der Verein zu einer respektablen Größe heran. Und es kam wie es kommen musste.

Erste Anzeichen wurden bereits bei einem Treffen auf Kreta deutlich: Einige Vereinsmitglieder erschienen in einheitlichen T-Shirts. Dies setzte sich sogleich mit der Idee eines ebenso einheitlichen blauen Bändchens an Revers oder Bluse fort. Das Bändchen, das abgesehen von der Farbe sehr der Aids-Schleife ähnelte, war nur logisch, denn der Kretavirus scheint genauso ansteckend zu sein, wie die bereits erwähnte andere Krankheit.

Doch damit nicht genug! Nun wurden weitere Devotionalien er- und gefunden, seien es Aufkleber, Mousepads für den Computer, sogar eine gemeinsame Fahne wurde entworfen, der Virus breitete sich immer weiter aus. Es ist zu erwarten, dass demnächst jeder dritte Leihwagen auf der Insel mit einer ans Fenster geklemmten Vereinsfahne über die Insel zuckelt. Die Kreter werden Augen machen!

Und dann kam die Idee der Ideen: „Wir brauchen ein gemeinsames Lied, eine Hymne!“ Doch das war leichter gedacht als getan! Wem sollte da etwas Professionelles einfallen? Also begab sich eine Abordnung des Vereins zu dem weltberühmten Komponisten und Texter Ralf Spiegel und trug ihm das Anliegen vor. Jener lächelte weise und meinte, das träfe sich gut. Er hätte nämlich für den nächsten Grand Prix d‘ Eurovision noch kein Lied und da könne man vielleicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

„Haben Sie denn auch genügend Musiker, um das auf die Bühne zu bringen?“
„Halt, Maestro, so weit sind wir noch nicht. Erst mal ein Lied, dann reden wir über den Rest.“
Der Meister setzte sich ans Piano, schlug verträumt ein paar Takte an und begann verhalten zu singen:
„Schnulli-Baby, warum liebst du mich?
Baby, ich bin viel zu alt für dich!“

Die Abordnung war irritiert. Was hatte das mit Kreta zu tun?
Darauf angesprochen gab der Meister zu, dass er hier versehentlich nur eine Idee aufgewärmt hatte, die er vor Jahren mal verwirklicht haben wollte, um mit Frank Sinatra am Grand Prix teilzunehmen, was aber daran gescheitert war, dass jener schon zu lange tot war und deshalb nicht mehr teilnehmen durfte.
„Aber wie wäre es denn damit?“
Wieder griff er in die Tasten.
„Kreta, alles was ich sagen kann,
you are my really number one … number one!“
Die Abordnung war nicht begeistert, was der Meister an ihren Gesichtern auch ablesen konnte.
„Meine Damen und Herren, vergessen Sie bitte nicht, was einen echten Hit ausmacht: Wenig Text und möglichst oft einen einfachen Refrain, damit es alle beim zweiten Mal auch mitsingen können. Ich hätte da noch ein Beispiel …“
Er kicherte kokett!
„Denk ich an Malia in der Nacht,
so bin ich um den Schlaf gebracht …“

Das fand ebenfalls wenig Gefallen, denn das wussten alle auch so.
Ralf Spiegel ließ sich noch nicht beirren.
„Ich gebe zu, das hier ist ausnahmsweise nicht von mir!“
Wieder griff er in die schwarz-weißen Tasten und begann zu singen.
„Da simmer dabei, dat is prima,
Kreta, ach Kreta …“
Ein Mitglied der Delegation räusperte sich.
„Das habe ich irgendwie schon gehört. Es reimt sich aber gar nicht.“
„Ich weiß, das Original reimt sich aber auch nicht. Ich hätte da noch was in der Art.“
Wieder hub er in die Tasten.
„Zehn blonde Friseusen,
sind auf Kreta gewesen,
doch weil sie ziemlich zickig,
warn die Kreter sickig!“
„Nein danke, das passt besser zu Mallorca!“
„Na gut, dann lassen Sie mich noch einmal nachdenken.“
Er sann eine Weile vor sich hin, dann blitzte es wie Schalk in seinen Augen auf, er schlug einen flotten Rhythmus auf dem Piano an und begann zu singen:
„Kreta, ach Kreta,
da schmeckt so gut der Feta.
Kreta, ach Kreta,
natürlich auch der Keta …“
Mit einer unwirschen Handbewegung unterbrach ihn ein anderes Mitglied der Abordnung.
„Keta? Reimt sich zwar, aber was soll das bitte sein?“
Sein Nachbar knuffte ihn in die Seite.
„Kaviar, du Dösbaddel. Das weißt du nicht?“
„Aber was hat Kreta mit Kaviar zu tun?“
„Na, da gibt es doch auch welchen!“
„Der heißt aber Taramosalata und jetzt erklär mir mal, wie du das reimen willst!“
„Na, ganz einfach: Souvlaki me patata!“

Der Meister wurde ein wenig ungehalten.
„Dürfte ich vielleicht noch ein wenig weitersinnieren, ohne ständig unterbrochen zu werden?“
Die Delegation riss sich zusammen.
„Bitte sehr, sie müssen entschuldigen. Fünf Leute, fünf Meinungen!“
„Schon gut, ich fahre also fort.“
„Au ja, nach Kreta,“ warf das jüngste Mitglied der Delegation ein, wofür es kurz einen strafenden Blick der anderen einfing. Es sei an dieser Stelle aus Gründen des Datenschutzes verschwiegen, in welchem Ort in Deutschland dieses Delegationsmitglied wohnt.

er Maestro griff wieder in die Tasten.
„Woher kommt die Lätta,
über Umwege aus Kreta.
Ich habe einen Vetta,
der wohnt sogar auf Kreta.
Das Glück liegt auf die Bretta,
die kommen auch aus Kreta …“
„Da gibt es doch kaum noch Holz!“
Wieder konnte sich einer den Zwischenruf nicht verkneifen.

„Unterbrechen Sie mich jetzt nicht! Ich bin gerade kreativ!“
„Schon gut!“
„Ich fahr‘ nach La Valetta,
auf Kreta, auf Kreta …“
„Das ist aber auf Malta!“
„Seien Sie doch nicht so kleinlich!“
„Verzeihung, machen Sie bitte weiter.“
„Darüber red’n wir späta,
auf Kreta, auf Kreta,
denn es ist wirklich meta-
geil auf uns’rem Kreta.
Wo warn schon unsre Väta,
mit Fallschirmen auf Kreta …“

Die Abordnung sprang geschlossen auf.
„Das wollen wir doch jetzt mal außen vor lassen. Was hat das denn mit uns zu tun?“
„Natürlich nichts. Aber haben Sie schon mal einen Schlager gehört, der Sinn macht?“
Die Abordnung setzte sich nicht wieder. Nach einer kurzen Beratung trat der Sprecher vor.
„Herr Spiegel, wir danken für Ihre Bemühungen. Aber wir sind zu der Einsicht gekommen, dass wir vielleicht doch nicht so dringend eine Hymne brauchen. Jedenfalls nicht so eine.“
Ralf Spiegel entgegnete etwas beleidigt:
„Dann denken Sie sich doch vielleicht selbst etwas aus, wenn sie mich nicht brauchen!“
„Nein, ich glaube, Sie haben uns die Augen geöffnet. Das mit der Hymne war wohl doch keine so gute Idee, außer wir finden jemand, der nicht so einen Müll zusammenreimt.“
Nun war der Meister endgültig sauer.
„Dann machen sie doch Ihren Kram alleine!“
„Vielleicht versuchen wir es, aber vorerst mal lassen wir das Ganze, bis mal jemand eine Idee hat. Wir danken und auf Wiedersehen.“
Auf der Rückfahrt summte einer im Auto leise vor sich hin:

„Kreta, wenn ich dich wiederseh,
dann schmelzen meine Sinne.
Komm ich zu dir, schmilzt auch der Schnee
auf Psiloritis‘ Zinne.
Und breite Bäche stürzen tief
von deinen Bergen runter,
der Wind bläst hier an manchem Ort
doch etwas stark mitunter …“

Zum Glück hörten es die anderen nicht. Sie hätten ihn sonst vermutlich wegen seines ständigen Wind-Genörgels in den Hintern getreten. Obwohl er nicht so ganz unrecht hat.
Und sie fuhren in ihrem Auto wie in einem kitschigen Film hinein in den Sonnenuntergang über Wanne-Eickel.

Von Klaus Eckhardt