„Gestrandet“ in Paleochóra
Wir nahmen die damals einzige Straße nach Pále über Tavronítis, Voukoliés und Kándanos.
In Paleochóra wehte es bei unserer Ankunft dieses Mal (noch) nicht. Zuerst begrüßten wir den Pelikan vor der gleichnamigen Taverne und führten ein Telefongespräch am Kiosk (Kartentelefone waren damals natürlich noch völlig unbekannt), dann gingen wir essen und erkundigten uns beim Wirt über das Boot nach Gávdos.
Es sollte zwei Tage später fahren, aber der Wirt ließ durchblicken, dass er mit aufkommendem Wind rechnete und es überhaupt nicht sicher sei, ob das Boot überhaupt fahre. Wir wunderten uns, denn es war momentan praktisch windstill. Andererseits mussten die Einheimischen ja eigentlich wissen, wie die Vorzeichen von Wetteränderungen zu deuten waren.
Und der Wirt behielt Recht. Am nächsten Nachmittag frischte es auf und gegen Abend kräuselte ein Sturm die Wellen vor dem Abend heftig. Die erneute Frage nach dem Boot nach Gávdos wurde nur mit einem Schulterzucken beantwortet. Also zogen wir uns recht früh am Abend ein Stück nach Westen zurück, wo der Wind sehr viel schwächer war. Wenn das Boot denn fahren würde, wollten wir es nicht verschlafen.
Machen wir es kurz: Als wir am nächsten Morgen wieder zum Hafen zurückfuhren, informierte man uns bedauernd, dass es wohl in den nächsten Tagen kein Boot nach Gávdos geben würde. Es sei viel zu gefährlich, raus zu fahren. Es sei hinzugefügt, dass die damaligen Boote, die Gávdos ansteuerten, sehr viel kleiner waren als heute.
Irene und Klaus, die sehr viel weniger Urlaubszeit vor sich hatten als wir, beschlossen daraufhin, mit dem Bus wieder nach Norden zu fahren, weil sie es sich nicht leisten wollten, vielleicht eine Woche untätig herumzusitzen. Da wir das Ganze naturgemäß sehr viel gelassener sahen, verabschiedeten wir uns voneinander, nicht ohne vorher die heimatlichen Adressen ausgetauscht und uns lose im „Kyani Akti“ bei Kalýves verabredet zu haben. Wenn wir uns dort nicht treffen würden, wurde vereinbart, dass wir in München bei ihnen ein bis zwei Tage Station machen würden.
Yvonne und ich kauften noch reichlich Überlebensmittel ein und füllten unsere Wasservorräte auf. Wein hatten wir aus Kókkinos Pýrgos noch reichlich dabei. Dann fuhren wir wieder nach Westen … mit jedem Kilometer ließ der Wind nach. Wir entdeckten einen herrlichen sandig-kieseligen Strand mit einigen Bäumen, die uns Schatten spenden konnten. Irgendein freundlicher Zeitgenosse hatte sogar eine „Fahrspur“ aus großen Kieseln bis zu diesen Bäumen gelegt. So bugsierte ich den Bus vorsichtig darüber, denn ich konnte mir ungefähr vorstellen, was passieren würde, wenn ich von den Steinen abrutschte und im Sand landete.
Unter den Bäumen richteten wir uns häuslich ein und lebten dort drei Tage wie „Adam und Eva im Wohnmobilparadies“.
Als Yvonne auf das herrliche Meer schaute, das zwar bewegt, aber nicht richtig stürmisch vor uns lag, warf sie die Ratschläge aller irakliotischen Mediziner über Bord und beschloss, endlich mal wieder zu baden. „Hier ist es so sauber, das kann meinem Bein nicht schaden!“
Ich widersprach nicht, denn ich wusste sehr gut, wie sehr sich die süße Baderatte nach Selbigem sehnte. Sie schwamm tatsächlich mehrere Stunden draußen herum – ich bat sie aber, nicht zu weit raus zu schwimmen, da das Wasser so ruhig auch wieder nicht da lag. Mit dem Teleobjektiv verfolgte ich sie dann mal kurz und wer sich diesen glücklichen Gesichtsausdruck auf dem Foto anschaut, kann nachvollziehen, dass sie sich wie im siebten Himmel fühlte.
Wir hatten uns einen lächerlich winzigen Sonnenschirm gekauft, den wir in einer ebenso ridikülen Konstruktion auf dem Strand aufbauten. Fotos davon darf ich nicht zeigen, denn Yvonne hat mir alle Bikini-Fotos verboten *ggg.
Nach einigen Tagen aber gingen unsere Vorräte allmählich zur Neige und wir beschlossen, mal nach Paleochóra zu fahren, um erstens für Nachschub zu sorgen und uns zweitens mal wieder nach dem Boot Richtung Gávdos zu erkundigen.
Wir packten alles zusammen und ich setzte den Bus langsam und vorsichtig wieder über die Steine zurück (drehen konnte ich nicht). Und dann passierte es: Ein winziger Moment der Unaufmerksamkeit reichte aus, dass der Wagen mit den (angetriebenen) Hinterrädern von der schmalen Spur aus Steinen abrutschte und sich sofort tief in den Sand eingrub. Alle Versuche, ihn dort mit Hilfe von Fußmatten und Zweigen wieder zu befreien, schlugen kläglich fehl. Letztendlich saß der Bus mit der Ölwanne fest auf dem Sand auf … wir waren im wahrsten Sinne des Wortes „gestrandet“. Was tun? Wir beide allein hatten keine Chance, von hier weg zu kommen.
Glücklicherweise hörten wir aber schon seit einiger Zeit Motorengeräusche von der Straße. Und zwar nicht Motorengeräusche von vorbeifahrenden Wagen, sondern es hörte sich so an, als ob hier schwerere Maschinen mit Bauarbeiten beschäftigt waren. Ich wanderte also die etwa hundert Meter und fand dort tatsächlich Bauarbeiter vor, die an der Straße werkelten. Und was mein Auge mit besonderem Entzücken erblickte, war ein handfester Radlader …
Also ging ich zu ihnen und es gelang mir, ihnen erfolgreich klar zu machen, dass ich ihre Hilfe – insbesondere aber den Radlader – brauchte. Da Kreter schon immer hilfsbereit waren, fuhren vier von ihnen mir mit dem Radlader hinterher. Als sie die Bescherung erblickten, grinsten sie – es kam mir aber nicht schadenfroh, sondern eher vor wie „no problem“ – und machten ein langes Drahtseil zwischen Radlader und Bus fest. Damit es mir nicht die hintere Stoßstange abriss, trugen sie mir auf, den Vorgang mit meiner eigenen Motorkraft zu unterstützen.
Einer zog, die anderen unterstützen die Aktion mit Handzeichen … und dann hatten wir es geschafft: Der Bus stand wieder auf festem Boden!
Ich bot ihnen Geld an, sie winkten nur ab. Daraufhin verteilte ich eine Runde Zigaretten, die sie gnädig annahmen. Noch ein kurzes Gespräch des Dankes – sie machten kein großes Aufheben daraus – und sie kehrten zu ihrer Arbeit zurück.
Wir fuhren nach Paleochóra, nur um zu erfahren, dass das nächste Boot – wenn überhaupt – erst wieder in zwei Tagen fahren würde. Wir beschlossen, diese zwei Tage noch abzuwarten, dann aber aufzugeben und Gávdos auf ein anderes Jahr zu verschieben.
Wir ergänzten unsere Vorräte und fuhren wieder zurück nach Westen – allerdings nicht wieder an den gleichen Strand, denn die Erfahrung hatte mir gereicht. Wir suchten uns eine uneinsehbare Stelle zwischen Felsen (von der es keine Fotos gibt, denn auf allen Bildern ist Yvonne drauf – siehe oben).
Am übernächsten Tag erfuhren wir, dass es nichts zu erfahren gab: Bis auf Weiteres fuhr kein Boot. Also brachen wir unsere Zelte in Paleochóra ab und luden am Ortsausgang ein englisches Tramperpärchen – Dave und Jill – ein, die nach Chaniá wollten. Wir versprachen ihnen, sie dort abzusetzen, wenn sie denn noch einen Tag Zeit hätten, denn wir wollten noch einen Abstecher nach Falássarna machen.
Sie waren einverstanden und bereuten es nicht, denn sie verlebten mit uns dort oberhalb des Strandes mit den schönsten Sandlilien der Insel einen sehr gemütlichen und nahrhaften Abend. In diesen Jahren entwickelten Yvonne und ich eine Vorliebe für Essen auf griechische Art: Viele Teller und überall was Leckeres drauf, was immer Kreta hergab. Ich könnte mich auch heute noch tagelang von diversen Käsesorten, Oliven, Tomaten, Brot etc. wunderbar ernähren.
Am nächsten Tag fuhren wir wieder nach Chaniá, wo sich die beiden von uns verabschiedeten. Dann steuerten wir wieder das „Kyani Akti“ an, wo wir mal schauen wollten, ob Irene und Klaus tatsächlich eintrudeln würden.
Überraschung: Als unser Bus ausrollte, entdeckten wir sie schon. Sie kampierten im Freien unter den paar „Almiríkia“ am Strand, die ein wenig Schatten boten. Wir parkten also gleich neben ihnen und freuten uns auf die kommenden Tage, die wir weiterhin gemütlich angehen wollten. Es gibt viele schöne Dinge im Leben: Reichtum, Liebe, Glück … aber eines gehört auch dazu und das hatten wir in diesem Jahr reichlich: Zeit!