Kreta 1977 – Teil 7

Die nächsten Tage verbrachten wir zum Teil mit der zweitschönsten Sache der Welt, mit Nichtstun. Yvonne wäre gerne Baden gegangen, aber der Abszess war immer noch nicht verheilt, er hielt sich dran. Und das Meer bei Kókkinos Pýrgos erschien uns nicht so sauber, als dass wir ein Infektionsrisiko eingehen sollten. Die Abwässer flossen dort wie anderswo auch (und tun es wahrscheinlich heute noch) ungeklärt ins Meer.

PicturesKJ/for-1977-135_Gortys.jpgZwischendurch frönten wir allerdings auch ein wenig der Kultur und besuchten zum Beispiel Górtys. Auch heute noch, wo es nun schon lange nicht mehr so leer ist wie damals, sind die Olivenhaine südlich der Straße mit ihren verstreuten Ausgrabungsfragmenten einen Spaziergang wert. Yvonne hatte den damals einzig brauchbaren Reiseführer von Hanni Guanella mit, den sie eifrig studierte, was mir das hübsche Photo von der antiken und der ganz taufrischen Grazie bescherte.

Eines Abends fragte uns Jannis, ob wir nicht mit ihm am nächsten Tag nach Iráklion fahren wollten, er hatte dort einiges zu erledigen. Warum sollte man nicht den Gefallen für einen alten Freund mit etwas Angenehmem verbinden, wir waren dieses Jahr noch nicht in Iráklion gewesen und konnten ja auch nicht immerzu nur in Kókkinos Pýrgos rumsitzen. Wir konnten eigentlich doch (was ich heute im Nachhinein nicht mehr so ganz verstehe), aber ein bisschen Abwechslung war auch mal schön.

Also ging es am nächsten Tag nach Iráklion. Wir setzten Jannis ab und verabredeten uns für den Spätnachmittag, um gemeinsam wieder zurück zu fahren.

PicturesKJ/for-1977-142_Iraklion.jpgUnd dann bummelten wir einfach ein wenig durch die Stadt. Der Morosini-Brunnen führte ausnahmsweise mal Wasser und die Straße des 25. August war damals noch ein wenig leerer, aber es gab durchaus schon Souvenirgeschäfte. Und Frauen – auch meine Yvonne – shoppen ja mit Vorliebe, auch wenn ich zugeben muss, dass sie eigentlich nur schauen wollte und praktisch nichts kaufte. Unsere Reisekasse war ja auch durch die Arzt- und Arzneikosten, die ihr Abszess mit sich gebracht hatten, etwas belastet … man glaubt es kaum noch, dass wir damals tatsächlich mit wirklich kleinem Geld rechnen mussten. Diese ca. 140 DM brauchten wir nämlich dringend als Benzingeld für die Rückfahrt! Das führte übrigens noch zu einer anderen Geschichte, aber die ist ein Extrakapitel wert!

Nachdem wir auch die belebte Marktgasse ausgiebig inspiziert hatten, meldete sich der kleine Hunger und so kehrten wir in der Odós Archimandrítou Fotíou Theodasáki in einer der dortigen kleinen Tavernen ein. Wem dieser Name nicht geläufig ist … der Volksmund nennt die kleine Gasse, die von der Marktgasse abzweigt, „Schmutzgässchen“, weil die dortigen kleinen „Garküchen“ auch 1977 noch nicht alle über Toiletten verfügten. Nichtsdestotrotz war das Essen damals und ist es heute noch sehr gut …

PicturesKJ/for-1977-141_Iraklion.jpgNachdem dieses leibliche Bedürfnis gut gestillt war, wanderten wir zum Hafen und besichtigten das venezianische Fort. Es gibt auch davon Fotos, aber die sind wenig weltbewegend.

Leider fühlte ich mich allmählich zunehmend unwohl, was nicht am Essen im „Schmutzgässchen“ gelegen haben wird, vermutlich hatte ich mir den Magen mit zu kalten und zu hastig getrunkenen Flüssigkeiten einfach verkühlt. Das passierte mir durchaus öfter, aber so heftig wie in diesem Jahr eigentlich später nicht mehr. Obwohl …

Ich war froh, als wir wieder beim Auto waren und legte mich erst einmal hin, denn ich hatte heftigen Schüttelfrost. Yvonne wäre sicher gerne noch ein bisschen durch Iráklion spaziert, aber natürlich blieb sie bei mir und hielt mir das Händchen, bis Jannis „endlich“ kam. Die Hitze in Iráklion war in diesem meinen Zustand nämlich kaum auszuhalten.

Ich fuhr zurück – es war ja niemand anderes da – aber fragt mich nicht, wie. Als wir in Agía Varvára kurz anhielten, weil Jannis noch irgendetwas Spezielles einkaufen wollte, lag ich mit dem Oberkörper auf dem Lenkrad und wünschte mir nur noch, möglichst schnell und schmerzlos zu sterben.

Irgendwie schafften wir es aber dennoch bis Kókkinos Pýrgos. Ich ließ den Wagen einfach direkt vor Jannis‘ Kneipe im Schatten der Almiríkia stehen und verkroch mich mit letzter Kraft nach hinten. Es ist schon gut, wenn man in einem solchen Fall das Bett direkt dabei hat.

Die nächsten Tage verbrachte ich im Halbkoma, einzig unterbrochen von kleinen Ausflügen auf Jannis‘ unsägliches Klo … es kam mir reichlich aus allen Körper… na ja, machen wir es nicht zu drastisch. Außerdem – und das war noch schlimmer – bekam ich etwa 42 Grad Fieber, und nun machten sich alle wirklich Sorgen um mich. Jannis ergriff die Initiative: Er krabbelte mit einer Flasche Rakí in den Bus und verpasste mir eine brutale Massage damit, wobei hinterher die Flasche leer war und ich jeden Knochen im Leib spürte. Man muss wissen, dass Jannis nicht gerade ein schwächlicher Mann war und er malträtierte mich gewaltig.

PicturesKJ/for-1977-148_Kokkinos.jpgDoch das „Wunder“ geschah: Am nächsten Tag lag ich zwar völlig ausgelaugt und zerschlagen immer noch „voor Pampus“ (wie der Niederländer sagt), aber ich war tatsächlich fieberfrei. Und nun begann die letzte Tortur: „Rísi me lemóni“ … grauenhaft. Und ständig schleppte Stella kleine Portionen davon heran, damit ich allmählich wieder zu Kräften käme und der Durchfall nachließe. Und ich lag in dem trotz Schattens im August heißen Bus, nur wenige Meter von der Lärmquelle Taverne entfernt, versuchte, diesem verdammten Reis zu entkommen, hatte aber keine Chance.
Als ich nach einem harten Ei verlangte, beschied mich Yvonne, das sei jetzt nichts für mich. Allerdings ließ sie sich erweichen, als ich verständlich machte, das das Beste in meinem Zustand das sei, wonach es mich gelüstete.

Nun gut, wenn man drei Monate Zeit hat, fällt rein rechnerisch eine Woche Siechtum nicht so ins Gewicht, aber ich war schon sehr froh, dass es nach dieser Woche so ziemlich vorbei war. Im Gegensatz zu Yvonnes Abszess, der wohl beschlossen hatte, noch eine Weile nicht auszuheilen. Sie war so tapfer, aber am meisten ging es sie wohl an, das Meer weiterhin nur von außen zu sehen.

PicturesKJ/for-1977-145_Kokkinos.jpgDa wir uns Jannis inzwischen so weit „erzogen“ hatten, dass wir auch ohne „wegzuschleichen“ uns mal schräg gegenüber bei Heidi und Kyriakos aufhalten „durften“, seht ihr hier ein Foto des schon ziemlich in Rekonvaleszenz befindlichen Klaus, der zwar noch gequält und mürrisch schaut, aber … „drei Tage war der Klaus so krank, jetzt trinkt er Bier, na Gott sei Dank!“

Nachdem wir allmählich wieder zur Tagesordnung übergehen konnten, trafen zwei neue Besucher in Kókkinos Pýrgos ein, die es tatsächlich gewagt hatten, den Bus zu verlassen, um ein paar Tage zu bleiben: Irene und Klaus aus München.

Wir waren uns auf Anhieb sehr sympathisch und erlebten auch einige sehr nette und amüsante Tage miteinander. Übrigens haben wir die beiden in den folgenden Jahren immer wieder sehr gerne auf der Rückfahrt in München besucht und wir stehen auch heute noch in (sporadischem) Kontakt miteinander.

Mit Irene spielte ich sehr gerne Tavli, ich weiß gar nicht mehr, wer in der Regel gewann, aber ich nehme mal an, dass ich es war, denn ein bisschen was hatte ich mir bei Jannis inzwischen abgeschaut. Eigentlich bin ich aber auch heute noch eher ein Tavli-Theoretiker, der laut Aussage eines guten Freundes von mir zwar ein sehr gutes Buch über dieses Spiel geschrieben hat, trotzdem aber gegen diesen gleichen guten Freund von 20 Spielen auch 20 verliert.

Kreta 1977 Reisebericht Teil 8