Die nächsten Tage dienten mal wieder der Erholung in allen Facetten. Wir aßen drei Mal am Tag im Kyaní Ákti, badeten, restaurierten unser Äußeres und trieben allerlei Faxen. Außer uns tauchte nicht ein einziger anderer Ausländer auf, nur Griechen besuchten das Lokal mittags wie abends auch damals schon gerne. Wenn man sich vor Augen hält, dass dieser Strand der allererste westlich von Chaniá ist, wundert es wenig. Und über die Qualität der Taverne sprach ich ja schon mehrfach!
Es war früher Samstagabend. Wir saßen ganz am Rande der Terrasse und wollten uns noch etwas Zeit bis zum Essen lassen. Klaus und Irene spielten Tavli und ich klimperte ein wenig leise auf der Gitarre vor mich hin. Auch für die Griechen war es eigentlich noch zu früh zum Essen und so war nur eine einzige große Paréa anwesend, die sich drei Tische zusammengeschoben hatte und wie alle griechischen Familien laut und lebhaft war. Aber das störte uns ebenso wenig wie wir sie … im Gegenteil. Plötzlich stand ein Mann aus der Familie neben mir und lud uns an ihren Tisch ein … aber die Gitarre sollte ich mitbringen.
Nun wir hatten noch selten Kontaktängste und so siedelten wir zu ihnen um. Schnell standen frische Teller vor uns und das Familienoberhaupt ließ es sich nicht nehmen, sie für uns persönlich voll zu schaufeln. Und als alle uns inklusive herrlich gesättigt waren, erfüllte ich natürlich gerne den Wunsch nach ein paar griechischen Liedern auf und zur Gitarre … die ganze Truppe sang begeistert und lautstark mit. Wein und Raki flossen heftig und im Lauf des Abends erfolgte eine Einladung für den nächsten Mittag ins Haus der Familie in Chaniá zum Mittagessen. Natürlich sagten wir höflich zu …
Da wir spät ins Bett gekommen waren, kamen wir auch recht spät wieder raus. Aber für ein ausführliches Bad im eiskalten Fluss reichte es allemal.
Das Haus der Familie in der Odós Perídou fanden wir schnell und wurden erfreut begrüßt. Der Haushaltsvorstand zeigte uns stolz sein in der direkten Nachbarschaft liegendes großes Möbelgeschäft – in dieser Gegend lagen noch eine große Zahl weiterer Möbelgeschäfte, es ist wohl ein griechisches Phänomen, dass Firmen der gleichen Branche gerne im Rudel auftreten!
Leider brauchten wir aktuell keine neue Sitzgruppe, sonst hätten wir ihm sicher etwas abgekauft.
Dann aber ging es zurück nach Hause, wo wir einen reichlich gedeckten Tisch und den Rest der Großfamilie, die wir alle schon vom Vorabend „kannten“, vorfanden. Und die Dame des Hauses hatte aus dem Vollen geschöpft – das war noch eine Nummer besser als in der besten Taverne (aber das werden die meisten auch schon mal erlebt haben).
Um es kurz zu machen, dieses Essen zog sich – unterbrochen durch einige Tässchen Kaffee und einige mehr Gläser Raki bis etwa 7 Uhr abends hin. Ich wusste gar nicht, dass man auch mal immer weiter essen kann, irgendwie passt es noch rein. Und da wir eine so perfekte Grundlage hatten, machte uns auch der reichliche Alkohol nichts aus. Zwischendurch sang die versammelte Mannschaft auch wieder mal …
Gegen acht Uhr abends verabschiedeten wir uns dankbar und herzlich von unseren neuen Bekannten und fuhren zum Kyani Akti zurück. Im Nachhinein ist mir überhaupt nicht mehr verständlich, warum ich mir dort zu einem Liter Wein noch eine doppelte Portion Féta mit Öl und Orégano bestellte, die ich tatsächlich noch vertilgte – vielleicht hatte die Völlerei in Chaniá meinen Bandwurm aufgeweckt …?
Übrigens kam die Familie noch zwei Mal in den nächsten Tagen ins Kyani Akti, wo wir dann wieder gemeinsame lustige Stunden verbrachten. Und ich bekam die Möglichkeit, mich ein wenig zu revanchieren. Als wir nämlich auf das ungefähre Datum unserer Rückreise nach Deutschland zu sprechen kamen, meinte eine der Töchter, das sei etwa der Termin, an dem sie zurück zur Uni in Thessaloniki müsse, wo sie studierte. Was lag näher, als ihr anzubieten, sie dorthin mitzunehmen? Also bot ich es an und sie war sehr erfreut. Wir verabredeten uns also für ein bestimmtes Datum in Iráklion am Morosinibrunnen … Wir hatten uns aber schon darauf geeinigt, dass es eine Übernachtung in Athen geben würde, denn wir hatten ja versprochen, Jorgos (und Christos) zu besuchen, um uns von ihnen mal Athen aus der Sicht Einheimischer zeigen zu lassen. Und ein Bett für sie würde man sicher vorfinden, darüber machten wir uns keinen Kopp (sie auch nicht!).
Irenes und Klaus‘ Urlaub ging zu Ende, sie reisten ab. Wir fuhren Richtung Réthymnon. Unterwegs nahmen wir wieder ein englisches Tramperpärchen mit, dem es eigentlich egal war, wohin sie fuhren. Sie waren auch sonst sympathisch, so dass wir beschlossen, ein paar Tage zusammen zu bleiben.
In Réthymnon wurde zuerst einmal ausführlich die Fortétsa mit ihrer Moschee und dem kleinen christlichen Kirchlein besichtigt. Danach aßen wir an der Strandpromenade (nicht im Hafen, da war es uns zu voll).
Und im Anschluss daran machten wir uns auf nach Balí, denn dort waren wir noch nicht gewesen. Ausnahmsweise nahmen wir uns mal ein – nein, zwei Zimmer, und zwar bei Vassílis in der südlichsten Taverne in der Hauptbucht direkt am Strand. Wir wollten uns einfach mal was gönnen. Vassilis sah aus wie eine magere Version von Charlie Chaplin – ich glaube kaum, dass er noch lebt, aber ich weiß es nicht.
Gleich am zweiten Abend überfiel er mich mit dem Wunsch, früh morgens am nächsten Tag mit uns nach Pánormos zu fahren, wo er Zigaretten für das Lokal kaufen wollte. Solche Ausflüge waren mir ja schon Jannis und Kókkinos Pýrgos bekannt, also sagte ich leichtsinnigerweise zu.
Leichtsinnigerweise? Ja, denn Vassilis weckte uns um halb sieben in der Frühe. Das ist für einen Studenten – und dann noch in den Semesterferien – ein Synonym für „mitten in der Nacht“! Na, was sollte es, versprochen war versprochen … die beiden Engländer ließen wir aber weiter schlafen. Und wir tranken erst mal jeder drei griechische Kaffees, um wach zu werden.
Dann fuhren wir nach Pánormos, wo uns Vassilis vor einer recht einfach aussehenden Taverne ziemlich weit oben im Dorf zum Anhalten aufforderte, die tatsächlich schon geöffnet war. Er wollte seine Einkäufe erledigen, wir sollten es uns so lange hier gemütlich machen.
Es dauerte kaum eine halbe Stunde und er kam mit mehreren Plastiktüten bepackt zurück. Wir verstauten diese im Auto und dann orderte er eine größere Menge Souvláki bei der Wirtin und drei Flaschen Bier. Ja, ja, auch das kam uns bekannt vor.
Um kurz nach neun Uhr waren wir dann zurück in Balí und Vassilis öffnete nun auch seine Taverne – wir gingen erst einmal Baden.
Nach vier Nächten zog es uns dann wieder in den Süden, allerdings erst einmal nicht direkt nach Kókkinos Pýrgos, obwohl wir dort sicher schon erwartet wurden. Wir fuhren erst einmal nach Keramés, wovon uns Joan mehrfach vorgeschwärmt hatte. Nachdem wir den Gebirgszug überquert hatten, stoppten wir, denn wir hatten entdeckt, dass hier jede Menger wilder Oregáno wuchs. Da dieser zu meinen Lieblingsgewürzen zählt, hielten wir erst einmal reichliche Ernte.
Keramés selbst allerdings entpuppte sich als völlig verschlafenes Nest. Da es außerdem zwischenzeitlich zu regnen begonnen hatten, beschränkten wir unseren Aufenthalt auf einen Spaziergang über die Hauptstraße und ergriffen dann wieder die Flucht … nach Kókkinos Pýrgos, wo wir wie üblich mit großem Hallo begrüßt wurden. Auch die üblichen bekannten Stammgäste aus Deutschland, England, Österreich und der Schweiz waren wieder oder noch da …
Ein paar Tage später fragte uns Stella, Jannis‘ Frau, ob wir mit ihr und den Kindern zum Kloster Préveli fahren wollten. Dort würde am nächsten Tag ein großes Fest zu Ehren der wichtigsten Reliquie des Klosters stattfinden, dem Splitter vom Kreuz Christi in der Kirche, der in ein prächtiges Kreuz eingearbeitet wurde und angeblich Augenleiden heilt.
Um diese Reliquie rankt sich eine berühmte Geschichte: Die deutschen Besatzer sollen während des zweiten Weltkriegs den Splitter aus dem Kreuz Christi gestohlen haben. Es nützte ihnen allerding wenig, da das wundersame Stückchen Holz seine Übermacht über die seinerzeit moderne Technik bewies. Die Motoren des Flugzeugs, mit dem es außer Landes gebracht werden sollte, weigerten sich hartnäckig, anzuspringen … Erst als sich die Reliquie reumütig zurückgebracht wieder im Kloster befand, funktionierten diese und andere Motoren wieder.
Natürlich wollten wir! Stella und die Kinder würden im Kloster übernachten, dass zu diesem Vorabend des großen kirchlichen Festes vielen Gläubigen eine Übernachtungsmöglichkeit (auf dem Fußboden) bot, und wir hatten ja unseren Bus, den wir vor dem Kloster parken konnten.
Stella packte einige Fastenspeisen zusammen, denn am Vorabend des Festes wurde gefastet (aber sehr lecker gefastet!) und blühte auf der Fahrt und während des Aufenthalts im Kloster förmlich auf. Sie war offensichtlich froh, mal von Jannis und der Taverne wegzukommen.
Nur Jannis mopperte vorher und nachher ziemlich rum, er musste ja zwei Tage lang selbst arbeiten!
Es war ein sehr netter Abend – wir schliefen hinterher wie gesagt im Bus vor dem Kloster – und auch der Gottesdienst am nächsten Tag war beeindruckend. Ich erstand eine ganz billige Abbildung des heiligen Kreuzes aus Plastik, die unseren Bus begleitete, so lange er lebte. Ich glaube, irgendwo habe ich sie immer noch …