Samariá 2025

Die Planungen zur Samariá Schlucht
Zu den Schluchten auf Kreta
Zur Samariá Schlucht

Es war ein heißer Tag. Wir trafen uns trotzdem.

Was ich, Sakis Rouvakis, Protokollführer, an diesem Tag niederschrieb, erschien mir im Nachhinein so ungeheuerlich, dass ich nach mehreren Tagen Bedenkzeit eine Kopie des Protokolls der Internationalen Presse zuspielte, welches welt- oder zumindest europaweit einen ziemlichen Wirbel auslöste. Und doch fürchte ich, dass alle internationalen Proteste keine Wirkung zeigen werden, denn wir Kreter haben schon immer gemacht, was wir selbst für richtig hielten. Da hat uns keiner aus dem Ausland rein zu reden, sagen wir … oder besser sagen die anderen. Ich selbst bin für meinen Teil jedenfalls nicht sehr glücklich mit den Plänen. Aber sie werden vermutlich kommen … Damit Sie wissen, wovon ich überhaupt rede, hier ein Auszug aus dem Protokoll:

Sitzung über die Neugestaltung der Samaria-Schlucht in den nächsten 16 Jahren.
Anwesend:
Petros Moustakis, Nomarchis des Bezirks Chania,
Antonis Maskarakis, Leiter des EOT-Büros Chaniá,
Porfyris Melaris, Chef der Wildhüter im Bereich südliche Lefka Ori,
Sotiris Bellas, Bauingenieur aus Athen,
Kaity Mova, EG-Kommissarin für Griechenlands Auslandsfinanzierung durch die EG.

Der Nomarchis begrüßt als Sitzungsleiter die Anwesenden (Frau Mova kam später und entschuldigte dies mit der Tatsache, dass ihr beim Ausstieg aus dem Taxi der Absatz abgebrochen sei, den sie erst wieder reparieren lassen musste). Er stellt das Thema vor.

Moustakis: Meine Herren, die Dame ist ja noch nicht anwesend, lassen Sie mich kurz das Thema erläutern, zu dem wir uns heute hier versammelt haben. Schon seit vielen Jahren sucht unser verehrter Freund, Herr Maskarakis, nach neuen Ressourcen, die wir fremdenverkehrsmäßig ausschöpfen können. Und da hat er alles bedacht, was in unserem Nomós von Interesse sein könnte. Besondere Altertümer haben wir hier leider nicht und es ist auch kein neuer Arthur Evans in Sicht, der die Ausgrabungen von Polyrrinnia beispielsweise nach seiner Phantasie entsprechend umgestalten könnte, wie zum Beispiel die Steine blau einzufärben oder gar moderne Badezimmer und Swimmingpools einzuarbeiten. Es wäre natürlich eine Sensation gewesen, wenn wir auf diese Art hätten beweisen können, wie fortschrittlich die Vorfahren unseres westlichen Kretas schon waren … aber was nicht ist, ist eben nicht.
Also hat er sich auf das Bedeutendste besonnen, was wir hier zu bieten haben, die Samaria-Schlucht. Sicher, wir haben schon einiges erreicht. Zum einen läuft niemand mehr unabkassiert durch die Schlucht, was längst überfällig war. Denken sie nur mal an die Abnutzung der Steine und die Instandhaltung der Wege … und wir müssen ja auch irgendwie die Arbeitsplätze erhalten. Doch – wie mir unser verehrter Herr Maskarakis versichert hat – dieses Thema ist noch lange nicht ausgereizt.
Aber ich will ihm nicht vorgreifen. Herr Maskarakis, würden Sie die Freundlichkeit haben, uns Ihre Gedanken hier vorzustellen?

Maskarakis: Selbstverständlich gerne, Herr Nomarchis, dafür sind wir ja zusammengekommen (zieht einen Stapel Papiere hervor).
Es wurde bereits erwähnt, dass es als Leiter des EOT meine Aufgabe ist, Touristenströme – sind sie denn einmal auf unserer Insel – von den Swimmingpools aus Chersonissos, Malia und wie sie alle heißen, wegzulocken, auf dass ein wenig oder lieber viel mehr des Geldes auch bei uns lande.
Wie ebenfalls erwähnt, haben wir die berühmteste Schlucht der europäischen Welt zu bieten. Täglich wandern bereits Hunderte, nein eher Tausende Touristen hindurch. Aber wir wollen nicht Hunderte, nicht Tausende, wir wollen Hunderttausende! Doch wie können wir das erreichen? Noch immer schreckt viele der schwierige Anfahrtsweg, der lange Fußmarsch oder das schaukelnde Schiff bei der Abfahrt. Dort müssen wir ansetzen!

Melaris: Und was wollen Sie uns damit sagen?

Maskarakis: Wir brauchen eine andere Infrastruktur. Die Anreise können wir nicht verändern, denn wir können ja schließlich die Schlucht nicht vor die Tore unserer Stadt transportieren. Aber wir können das Begehen bzw. das Befahren der Schlucht bequemer machen.

Melaris: Wie meinen Sie das? Wollen Sie eine Straße durch die Schlucht bauen?

Maskarakis (lacht): Eine Straße? Nein, mein Freund, die würde doch in jedem Winter überflutet. Ich darf Ihnen Herrn Bellas vorstellen, der schon eine gute Idee ausgearbeitet hat. Herr Bellas, wenn sie bitte …

Bellas: Natürlich gerne. Also, ich denke da an eine Seilbahn – offene Zweiersitze mit Schutzbügel –, die oben auf der Omalos-Ebene startet, in unterschiedlicher Höhe durch die Schlucht fährt und unten in Agia Roumeli sozusagen eine Talstation hat. Hier steigen die Besucher aus, essen in den dortigen Tavernen zu Mittag und steigen wieder zu, denn die Sitze müssen ja auch wieder hochfahren, sonst würden sich die Dauer unten zu viele ansammeln (lacht). Solche Seilbahnen gibt es in Deutschland überall … ich habe dort studiert.

Melaris: Und was ist mit dem Steinschlag, der ja immer wieder vorkommen kann?

Bellas: Machen wir halt einen Deckel über die Sitze.

Melaris: Aber das würde doch Jahre dauern, all die Pfeiler für die Seilbahn aufzustellen.

Moustakis: Deshalb heißt es ja auch „Projekt 2025“.

Melaris: Und sieht man dann überhaupt noch was von der Landschaft? Wegen all der Pfeiler …

Maskarakis: Immer, wenn man einem Pfeiler vorbei ist, schon …

Bellas: Andererseits sind diese Sitzseilbahnen schon eigentlich die Technik von gestern. Wenn Sie etwas wirklich Innovatives planen wollen, hätte ich da noch eine Alternative.

Moustakis: Lassen Sie doch mal hören …

Bellas: Wir bauen einen Transrapid durch die Schlucht. Wir müssten dann allerdings einige Bereiche sprengen. Dabei können wir übrigens auch noch Personal einsparen. Es geht ja alles automatisch, und wenn mal ein Unfall passiert und ein paar Tote in der Schlucht bleiben, kräht doch kein Hahn danach. Es läuft ja keiner mehr zu Fuß durch, also verrotten die unbemerkt. Transrapid ist die Optimallösung! Was den Chinesen Recht ist – sie haben diese deutsche Technik ja gekauft – sollte uns Griechen doch billig sein.

Maskarakis: Apropos billig. Wo ist eigentlich die Frau Mova?

Mova (eilt in diesem Moment zu Tür herein): Tut mir leid, ich habe mir beim Aussteigen aus dem Taxi … (wie schon erwähnt, der Protokollführer). Was habe ich da eben von billig gehört?

Moustakis: Wir sprachen über die Finanzierung eines sehr innovativen Projekts. Wie sieht es denn da mit EG-Mitteln aus?

Mova: Das, lieber Herr Nomarchis, ist das kleinste Problem. Solange die EG die unsinnigsten Straßen hier auf Kreta finanziert, wird wohl eine innovative Idee kein Thema sein. Um wie viel Milliarden geht es denn?

Moustakis: Das können wir noch nicht sagen, da wir uns noch nicht für ein Modell entschieden haben. Sagt Ihnen der Begriff Transrapid etwas?

Mova: Nicht direkt, aber ich habe gehört, es soll ein Superseller sein. No problem, die Finanzierung kriege ich genehmigt!

Melaris: Und was ist mit den Agrimia?

Maskarakis: Die gewöhnen sich schon daran. Die kommen wahrscheinlich bald Bananen bei den Touristen betteln.

Bellas: Wenn wir den Transrapid bauen, ist nix mit Betteln, der ist zu schnell vorbei. Das geht dann ungefähr so: Samaria in zwei Minuten. Es lebe der Fortschritt.

Melaris: Das ist doch eine furchtbare Vision, da sieht man ja gar nichts von der Landschaft.

Maskarakis: Dann fährt man halt zehn Mal durch und merkt sich jedes Mal einen anderen Abschnitt … bringt Geld in die Kassen.

Melaris (wirkt verzweifelt): Und die Agrimia?

Maskarakis: Die gewöhnen sich schon daran …

An dieser Stelle endet mein Protokoll, denn ich fiel in Ohnmacht. Hinterher erzählte man mir, dass der Oberwildhüter Melaris mit einem Messer auf die anderen losgegangen sei und deshalb in einer Zwangsjacke abgeführt wurde. Die Versammlung entschied sich danach einstimmig für den Transrapid …