Geschichte Kretas

Die ältesten Funde, die auf eine Besiedlung der Insel schließen lassen, stammen aus der Jungsteinzeit zwischen 6000 und 5000 v. Chr. Die Herkunft dieser Urbevölkerung Kretas kann nur vermutet werden. So wird angenommen, daß die ersten Siedler aus Kleinasien stammten.
Sie ernährten sich von Jagd und Fischerei, etwas Viehzucht und Ackerbau. Wie sie wohnten, ist umstritten. Die Tatsache, daß bisher nur vereinzelte Höhlen als Wohnhöhlen jener Zeit identifiziert, andererseits aber in den wenigen Siedlungsgebieten jener Zeit, wie z.B. in Knossós, unter minoischen Trümmern auch Reste aus dem Neolithikum gefunden wurden, erhärtet eher die Auffassung, schon damals habe man in hausähnlichen Lehmbauten gewohnt.

Gegen Ende der Jungsteinzeit, etwa 2600 v. Chr., kamen neue Einwanderer nach Kreta. Ihre Herkunft vermutet man aus Anatolien und Ägypten. Die neuen Einwanderer wohnten bereits als Großsippen in Siedlungseinheiten beieinander, oft auch schon in Häusern mit mehreren Räumen. Sie hatten als besondere Innovation das Kupfer mit nach Kreta gebracht, aus dem nun Werkzeuge und Waffen hergestellt wurden.
Neben die bisherigen Methoden, den Lebensunterhalt zu verdienen, trat nun auch das Handwerk (Metallbearbeitung und Töpferei), und damit der Handel, der seine Fühler bereits außerhalb der Insel in den östlichen Mittelmeerraum ausstreckte. Die Archäologie nennt diese Epoche von etwa 2600 bis 2000 v. Chr. die „Vorpalastzeit“.

PicturesOG/Festos01_vk.jpgAb 2000 v. Chr. entstanden die ersten Fürstentümer und gar Königreiche und mit ihnen die ersten alten Paläste. Nach ihnen heißen die nun folgenden 300 Jahre die „Ältere Palastzeit“. Die ersten Paläste wurden in Knossós, Festós und Mália gebaut. Schifffahrt und Außenhandel wurden stark ausgeweitet, Kretas Einfluss im östlichen Mittelmeer wuchs ständig. Erste Kolonien wurden auf Santorin und einzelnen Kykladeninseln gegründet. Hand- und Kunsthandwerk gediehen zu einer ersten Blüte, die Töpferei entwickelte sich kunstvoll (aus dieser Zeit stammen die ersten Funde im Kamáres-Stil), Goldschmiede- und andere Metallarbeiten entwickelten sich zu einer allerersten schon etwas höheren Kultur. Die ältesten Schriftfunde der Insel stammen ebenfalls aus der „Älteren Palastzeit“, sie waren in der sog. „Linear-A-Schrift“ verfaßt.
Doch um etwa 1700 v. Chr. fand diese Blütezeit ein jähes Ende. Die Wissenschaft ist sich nicht ganz einig, welche Katastrophe die Ursache war, es wird ein Erdbeben vermutet, welches alle Paläste zerstörte.

PicturesOG/Festos02_vk.jpgDoch schon etwa 100 Jahre später entstanden auf den Ruinen der alten Paläste neue schönere, größere und prachtvollere Bauten. Die nun folgende „Neuere Palastzeit“ gilt als eigentliche „minoische Epoche“, obwohl der Name „Minos“ wohl weniger der Eigenname einer Person als der Titel des jeweiligen Herrschers war. Eine rege Bautätigkeit setzte ein, neben den großen Palästen entstanden überall kleinere Herrenhäuser und Villen. Kunst und Kunsthandwerk kultivierten sich weiter, der Handel wurde immer mehr ausgeweitet, Kretas Handelsbeziehungen reichten nun schon über das gesamte Mittelmeer hinaus. Aus jener Zeit stammen auch die ersten Funde der beiden heute bekannten (weil auch durch die Souvenirindustrie millionenfach verarbeiteten) religiösen Symbole Kretas: der Doppelaxt und des Stierkopfes.
Schriftfunde in Form gemeißelter Steinplatten sind nun in der „Linear-B-Schrift“ geschrieben, einer Schrift, von der man vermutet, sie könne vom griechischen Festland importiert worden sein, da sie auch dort nachgewiesen wurde.

Doch die nächste Katastrophe folgte: Ein Vulkanausbruch auf Santorin, der damit verbundene erste „nachgewiesene“ Tsounámi (eine riesenhafte Flutwelle), verbunden mit mehreren Erdbeben, zerstörte abermals alles auf Kreta (ich glaube übrigens nicht wirklich daran, dass eine Flutwelle aus dem Norden auch die Paläste im Süden zerstören konnte, da waren wohl auch heftige Erdbeben beteiligt).

PicturesOG/Festos03_vk.jpgDiese zweite Zerstörung war aber wohl nachhaltiger als die erste, denn trotz des allmählichen Wiederaufbaus der alten Zentren scheint das Kunsthandwerk seine bisherige Pracht eingebüßt zu haben. Funde aus dieser Zeit wirken primitiver als ältere. Die nun folgenden 300 Jahre klassifiziert die Archäologie als „Nachpalastzeit“. Die Vormachtstellung Kretas als Seehandelsland ging verloren. Diese Rolle übernahmen die Phönizier. Darüber hinaus wird vermutet, daß Kreta wenig später unter mykenische Herrschaft geriet, was durch entsprechende architektonische Funde in Festós und Górtys belegt wird. Die Minoer zogen sich vor der neuen Einwanderungswelle in die unzugänglichen Teile Ostkretas zurück, wo sie ihre ursprüngliche Kultur noch eine Zeitlang bewahren konnten.

Sie führten dort aber nur ein Schattendasein, denn die Macht über die Insel übernahmen die Dorer. Die Einheimischen wurden zur dienenden Kaste degradiert, der herrschende dorische Adel erbaute (wenn auch nicht eigenhändig) zahlreiche neue Städte, die als autonome Stadtstaaten organisiert waren. Wieder begünstigte Kretas zentrale Lage im östlichen Mittelmeer den Aufschwung von Wirtschaft und Handel. Mit dem Beginn der Eisenzeit wurde ebendieses zum wichtigsten Werkstoff für Kunst und Handwerk. Und für die Kultur wirkte die Insel wie ein Adapter zwischen Orient und Europa: Sie übernahm die östlichen Einflüsse, entwickelte sie eigenständig weiter und vermittelte sie dann zum griechischen Festland. Doch die autonomen Kleinkriege machten spätestens im 4. Jahrhundert v. Chr. alles wieder zunichte.

In der nun folgenden „klassischen“ bzw. „hellenistischen Zeit“ schwand Kretas Einfluss nach außen völlig, man hatte genug mit sich selbst zu tun. Einzelne Stadtstaaten schlossen Bündnisse mit Außenstehenden und zogen so diese in die inneren Streitigkeiten mit hinein. Andererseits verließen viele Kreter die Insel und verdingten sich im gesamten Mittelmeerraum als Söldner. Ihr Mut und ihre Loyalität ihrem jeweiligen Arbeitgeber gegenüber verschafften ihnen einen guten Ruf. Andere Kreter betätigten sich wiederum durch die Lage der Insel begünstigt als Seeräuber, deren Ruf naturgemäß ein wenig schlechter war.

Die Römer machten im Zuge ihrer Eroberungspolitik im Jahre 67 v. Chr. dem ganzen ein Ende (die Eroberung gelang übrigens nicht gleich beim ersten Mal). Bis gegen Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. waren nun sie die Herren der Insel. Die Hauptstadt der neuen römischen Provinz wurde Górtys in der Messará-Ebene, welches die Römer zu einer prächtigen Stadt ausbauten.

PicturesOG/Festos04_vk.jpgAuch das Christentum fand seinen Weg früh nach Kreta. Im Jahre 59 n. Chr. soll der Apostel Paulus in Kalí Liménes an der Südküste der Insel gelandet sein. Einer seiner Gefolgsleute, Títos, wurde der erste Bischof der Insel. Sein Sitz war ebenfalls Górtys, hier sind auch immer noch Überreste einer ihm geweihten Basilika zu besichtigen. Sein Haupt wird heute als Reliquie in der gleichnamigen Kirche in Iráklion aufbewahrt.

Mit der Teilung des Römischen Reiches fiel Kreta geographisch logisch an Ostrom. Der Einfluss der Kirche entfaltete sich immer mehr, während der wirtschaftliche und politische Einfluß der Insel wieder einmal abnahm. Im Jahre 731 n. Chr. löste sich die Kirche endgültig vom päpstlichen Rom und wandte sich der Orthodoxie zu. Diese Epoche wird als „Erste Byzantinische Zeit“ bezeichnet.

Schon seit Jahrzehnten waren arabische Piraten sehr an der Insel interessiert, Nägel mit Köpfen machte der arabische Kapitän oder Admiral Abu Hafs Omar, der die Insel von Süden (der Messará) aus eroberte und bis nach Iráklion vordrang, d.h. bis dahin, wo Iráklion heute steht. Er gründete damals dort die Stadt Rabd-el-Kandak, die Venezianer nannten die Stadt in Abwandlung dieses Namens später „Candia“. Die Araber haben wenig an kulturellen Überbleibseln hinterlassen, ihr Hauptaugenmerk richteten sie darauf, so viel wie möglich aus der Insel herauszupressen, die ihnen qua Gewalt gehörte. Die Byzantiner bzw. Oströmer bemühten sich nach wie vor, die Insel zurückzuerobern, dies gelang (wiederum erst nach mehrmaligem Anlauf) dem Feldherrn Nikifóros Fókas, und zwar unter großen Verlusten. Das war 961 n. Chr.

PicturesOG/irakloggia.jpgZum wievielten Mal blühte im folgenden die Insel auf, kulturell und wirtschaftlich reorganisierte man sich. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts etablierten sich die Genueser zur Stärkung ihrer Handelsaktivitäten auf der Insel. Sie erbauten sogar Forts und Kastelle, was in der Zukunft Folgen haben sollte.

Als nämlich nach der Eroberung von Byzanz im 4. Kreuzzug Markgraf Bonifatius von Montserrat Kreta als Beuteanteil zugesprochen bekam, wusste er, wie es scheint, mit der Insel nicht viel anzufangen und setzte sie lieber in Bargeld um. So wurde Kreta erstmals in seiner Geschichte nicht erobert, sondern gekauft, und zwar für 10.000 Silbermark. Die Käufer waren die Venezianer, die aber etwas zu nachlässig mit dem neuen Eigentum umgingen, denn als sie es dann schließlich in Besitz nehmen wollten, waren die Genueser bereits „eingereist“, hatten sich entsprechend etabliert, und so kostete es die Venezianer außer den 10.000 Silbermark noch einige Kämpfe, ihr Eigentum nun denn auch wirklich zu erlangen.
Als es ihnen dann endlich gelungen war, bauten sie sogleich noch einige neue Kastelle rings um die Insel, um sie vor feindlichen Invasoren zu schützen (am besten erhalten sind heute noch die Kastelle in Iráklion und Frangokástello).

PicturesOG/irakl_morosini_wn.jpgAls Problem stellte sich jedoch heraus, daß die meisten Gegner der Venezianer nicht vom Meer her kamen, es waren im Gegenteil die Kreter selbst, die den nun schon wievielten Fremdherrscher nur bedingt willkommen hießen. Und das, obwohl sich die Venezianer im Gegensatz zu vielen früheren Herrschern bemühten, sich zivilisiert zu benehmen und der Insel als venezianischer Provinz ein wenig vom Glanz der Lagunenstadt zu verleihen (natürlich aber zum eigenen Wohle und auf Kosten der Kreter) und darüber hinaus die Zügel auch nicht allzu fest anzogen. Sie ließen sie noch lockerer, als 1453 Konstantinopel fiel, und so zogen viele byzantinische Familien auf die Insel, eine neue kulturelle Blüte nahm ihren Anfang (und Fortgang).

Doch wie die Geschichte so spielt, interessierten sich bereits wieder andere für Kreta. Diesmal waren es die osmanischen Türken. Sie waren hartnäckig genug, trotz erbitterten Widerstandes die Insel im Jahr 1669 endgültig zu erobern. Selbst die Appelle des Papstes, die letzte osteuropäische christliche Bastion vor dem Islam zu retten, denen viele europäische Fürsten folgten, blieben letztendlich erfolglos.

Die Osmanen hatten im Gegensatz zu den Venezianern mit Kreta anderes im Sinn. Besetztes Land hieß für sie ausgebeutetes Land! Nicht nur deshalb gibt es auch heute noch nur relativ wenige kulturelle Überbleibsel der türkischen Herrschaft auf Kreta. Die türkische Pression brachte u.a. viele Kreter dazu, zum islamischen Glauben überzuwechseln, um zu überleben (auch wenn sie offiziell nicht dazu gezwungen wurden).

Doch Kreta widersetzte sich weiter. Vor allem die Widerstandskämpfer aus der unzugänglichen Sfakiá attackierten die Besatzungsmacht unaufhörlich, und trotz brutaler öffentlicher Vergeltungsmaßnahmen (wie das öffentliche Abziehen der Haut, und das zur Vergrößerung der Grausamkeit vor Spiegeln) gelang es den Türken nicht, die Insel vollkommen in ihre Gewalt zu bringen. 1821 erhob sich Griechenland gegen die türkische Fremdherrschaft, und natürlich schlossen sich die Kreter diesem Aufstand an, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Die türkischen Besatzer riefen ihre ägyptischen Freunde (damals war das wohl noch so!) zu Hilfe und schlugen mit deren Hilfe den Aufstand nieder.

Und als dann elf Jahre später der griechische Nationalstaat ausgerufen wurde, versäumten die Großmächte (damals Russland, England und Deutschland), Kreta mit einzubeziehen. Hilflos vor Wut mussten die Kreter mit ansehen, wie die ägyptische Besatzungsmacht binnen kurzem wieder durch Türken ersetzt wurde. Kaum waren sie wieder da, machten sie weiter, wo sie aufgehört hatten. Wieder beuteten sie Kreta brutal aus, wieder erhoben sich die Kreter, wieder wurden diese Aufstände niedergeschlagen.

PicturesOG/Arkadi_wn.jpgEinen Höhepunkt der Auseinandersetzungen verzeichnet das Jahr 1866: Im Kloster Arkádi in der Nähe der Stadt Réthymnon hatten sich etwa 1.000 Griechen – in der Mehrzahl Frauen und Kinder – gegen die Türken verbarrikadiert. Trotz ihres leidenschaftlichen Widerstandes gelang es den Türken am 8. November, das Tor des Klosters zu stürmen. Um der Gefangenschaft zu entgehen, denn die Kreter wussten, was da auf sie wartete, sprengte der Freiheitskämpfer Kóstas Giamboudákos mit Einverständnis aller anderen das Pulvermagazin des Klosters mitsamt allen Eingeschlossenen und vielen Türken in die Luft.

Im Gedenken an diesen Tag ist der 8. November heute kretischer Feiertag und wird im Kloster selbst und in Réthymnon alljährlich feierlich begangen. Kóstas Giamboudákos wurde mit einem heroischen Denkmal auf der Platía Martyrón in Réthymnon geehrt.

Die gesamte europäische Presse berichtete über die Tragödie, doch die Regierungen der Großmächte stellten sich auch weiterhin taub und blind. Erst als durch einen Zufall ein paar englische Soldaten zwischen die Linien gerieten und getötet wurden, fühlte man sich bemüßigt, einzugreifen und die Türken zum Verlassen der Insel zu zwingen. Kreta wurde unabhängig, allerdings unter dem Protektorat der Großmächte, deren ersten Hochkommissar, den Prinzen Georg, die Kreter alsbald davonjagten und unter Führung von Elevthérios Venizélos den Anschluss an Griechenland forderten (das bereuen angeblich manche Kreter heute wieder). Diese Forderung wurde allerdings erst 1913 erfüllt, als der kretische Nationalheld Venizélos bereits griechischer Ministerpräsident war.

In dieser letzteren Rolle war er allerdings nicht ganz so unumstritten wie in der als Streiter für die kretische Freiheit. Zwar bemerkte man auf Kreta den Ersten Weltkrieg kaum, aber Unruhe brachte der Bevölkerungsaustausch nach der „Kleinasiatischen Katastrophe“, der blutigen Vertreibung der Griechen aus Kleinasien (und für diese muss man wohl Venizélos auch verantwortlich machen, auch wenn er sich durch die angeblich verbündeten Großmächte ermuntert fühlte, diesen recht aussichtslosen Feldzug zu wagen): Etwa 13.000 Flüchtlinge von dort kamen nach Kreta, während die dort lebenden Moslems die Insel verließen.

Der Zweite Weltkrieg ließ auch Kreta ganz und gar nicht ungeschoren. Deutsche Fallschirmjäger griffen 1941 die auf die Insel geflüchteten Engländer und damit auch die kretische Zivilbevölkerung an. Die kampfgewohnten Kreter fügten den Invasoren hohe Verluste zu, bis es diesen gelang, den Flughafen Máleme zu erobern und den Nachschub zu sichern. Damit war die Insel gefallen. Auch unter der deutschen Besatzung (die Engländer waren endgültig geflohen) leisteten die Kreter weiterhin Widerstand, doch ihre Aktionen wurden drakonisch bestraft (siehe z.B. Anógia und Kándanos). Von einer „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ kann hier wirklich nicht gesprochen werden!

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Besatzung, gelang es den Kretern aber wieder, die größten Schäden relativ schnell zu beseitigen, nicht zuletzt dank der Hilfe internationaler Organisationen. Darüber hinaus blieb Kreta der auf dem Festland ausbrechende Bürgerkrieg zum Glück erspart.

Der Export der Produkte ihrer florierenden Landwirtschaft und vor allen Dingen der einsetzende Tourismus brachten die Insel bald zu einem an gesamtgriechischen Verhältnissen gemessenen relativen Wohlstand (aber dazu mehr unter „Politik und Wirtschaft“).