I Germanía íne polý krýo – Roger Möckel 

Stelios lebt in einem Dorf an der Südküste Kretas und arbeitet beim örtlichen Metzger. Tagaus tagein ist er damit beschäftigt, die Tavernen im Dorf mit frischem Fleisch zu versorgen. Da das Dorf immer mehr vom Tourismus als vom Fischfang lebt, hat er vor allem während der Saison reichlich zu tun. So sieht man ihn am Tag mindestens 150 Mal (jedenfalls kommt es einem so vor). Im Dorf selbst läuft er seine Kunden plastiktütenbehangen mit athletischem, federnden Gang zu Fuß ab, die Tavernen am nahegelegenen Strand versorgt er mit seinem Moped.

Bei aller Arbeit ist Stelios immer höflich. Nichts scheint ihn aus der Ruhe bringen zu können. Wie viele Kreter wirkt er etwas geheimnisvoll: Er ist wortkarg und blickt einen aus dunklen, ja fast schwarzen Augen stechend an. Sein Schnurrbart lässt ihn etwas älter als seine ca. 30 Jahre und auch grimmiger erscheinen, dieser Eindruck täuscht aber: Er ist eine Seele von einem Menschen. Das verschmitzte Lächeln, dass stets seinen wortlosen Gruß begleitet, macht ihn ungemein sympatisch. Insbesondere auf Frauen scheint dieses Lächeln nachhaltig Eindruck zu machen …

Man bemerkt sofort, dass Stelios sehr stolz ist auf seine Insel. Dies hat er bis vor einigen Jahren auch gelebt: Er hatte sie bis dahin noch nie verlassen! Und zu dieser Zeit war er etwa 25 Jahre alt. Nichts und niemand schien Stelios von seinem Kreta weglocken zu können, bis es sein Kumpel Takis schaffte, ihn neugierig zu machen. Takis hatte lange Jahre in Deutschland gelebt und wollte jetzt, wo die Saison zu Ende ging, wieder für einige Monate nach dort. Die Tavernen im Dorf würden über den Winter fast alle geschlossen sein, damit lief auch die Arbeit eher gegen Null. So konnte Takis Stelios schließlich überreden, nach der Olivenernte für ein oder zwei Monate mit nach Deutschland zu kommen.

Ende Januar begann also für Stelios sein bisher größtes Abenteuer: Er würde Kreta verlassen und ein fremdes Land sehen! Die Reise führte die beiden Freunde in den Osten Deutschlands, wo der gewitzte Takis längst in einem griechischen Restaurant angeheuert hatte. Takis ist optisch und vor allem akustisch das krasse Gegenteil von Stelios: Kurz und leicht untersetzt, immer einen frechen Spruch auf den Lippen.

Zu dieser Jahreszeit hat Deutschland ja bekanntermaßen nicht eben mediterrane Temperaturen zu bieten. Der arme Stelios wurde von den wochenlangen Minusgraden vollkommen überrascht. Wahrscheinlich hatte ihm Takis vor der Abreise etwas von „ist gar nicht so schlimm“ vorgeflunkert. So reduzierte sich Stelios Interesse für Deutschland ausschließlich auf den warmen Ofen, der in der Küche des griechischen Restaurants stand. Tage-, nein wochenlang kauerte er neben „seinem“ Ofen, der das Leben für ihn einigermaßen erträglich machte. Den Tag seiner Rückreise nach Kreta herbeisehnend… Nach Wochen des Wartens wurde es ihm schließlich zu bunt: Kurz entschlossen bestieg er das nächstbeste Flugzeug nach Kreta und entfloh dem niemals enden wollenden deutschen Winter.

Wir trafen ihn wenig später im Frühjahr und fragten interessiert, wie er denn Deutschland so fände. Seine Antwort fiel so liebenswert wie kurz aus: Er schlug die Arme um den eigenen Körper und zitterte wie Espenlaub! Das blieb sein einziger Kommentar zu Deutschland.

Wir sind uns irgendwie sicher, dass er unser Land nie mehr besuchen wird … Eigentlich schade!

Von Roger Möckel