Vanity – Elke Schroeder

Als Vanity auftauchte, war es vorbei mit der Ruhe in Tambiki. Vanity brachte Frauen und Männer des verschlafenen Fischerdorfes gegeneinander auf. Heute glaube ich, dass das nie ihre Absicht war. Sie wollte einfach nur Urlaub machen.

Ich erinnere mich, daß die Sonne schon tief am Himmel stand. Das Meer kräuselte sich behaglich unter dem Horizont, eingehüllt in ein pastellfarbenes Gewand. Salzgeruch entstieg der See und breitete sich aus, überall, intensiv und schwer. Ein unwirklicher Nachmittag im Süden der Insel. Es war Ruhezeit. Kurz vor fünf mitten im September. Die Dorfbewohner lagen in ihren Betten, in weißgetünchten Häusern. Eingehüllt in Träume und bedeckt von salzigem Schweiß warteten sie auf den Abend, der Erfrischung bringen würde. Mit etwas Glück vielleicht auch Wind. Aus dem Norden. Schon viel zu lange herrschte die Hitze an. Abgekühlt auf seinem Flug über die Ägäis würde er Erlösung bringen, der Meltemi. Doch es kam kein Wind. Dafür kam Vanity, heiß, mit heftiger Windstärke und erhitzte die Gemüter.

Das Taxi hielt mitten auf dem Dorfplatz. Der alte Dieselmotor heulte einmal kurz auf und verstummte dann ganz. Michalis öffnete die Fahrertür und trat mit staubigen Schuhen auf die Straße. Kronkorken, weggeworfen und in der Hitze geschmolzen, waren mit der Straße eins geworden und schimmerten golden im heißen Asphalt. Michalis fuhr sich durch das schwarze, ölige Haar. Eine verlegene Geste. Dann eilte er zur Hintertür, um die Frau herauszulassen. Was für eine Fahrt! Noch immer war er aufgeregt. Noch immer strömte Hitze durch seine Lenden. Sein Glied, hart und pochend, presste sich trotzig an den Hosenbund. Es forderte Freiraum. Michalis war bestürzt. Oh, Gott, dachte er, jeder kann es mir ansehen. Er öffnete die Fahrgasttür und murmelte ein unverständliches „Bitte sehr!“

Vanity stieg aus. An den Füßen trug sie Stilettos aus dunkelrotem Samt. Ein Seidentuch in gleicher Farbe war locker um ihre Hüfte geschlungen. Der Saum endete nur eine Handbreit unter dem muskulösen Hintern und umspielte die samtweiche Haut makelloser Oberschenkel. Vanity lachte und warf ihr dunkles Haar zurück.
Kaskaden glänzend brauner Locken fielen über filigran geformte Schultern, flossen die feine Linie des zarten Rückgrates entlang bis hinunter zum Steißbein. Der flache nackte Bauch hob und senkte sich im Rhythmus des Lachens. Satte, melonenförmige Brüste schmiegten sich an ein Nichts aus luftiger weißer Seide. Vanitys Lachen war dunkel und guttural. Voller Leben und Genuss.

Wie angewurzelt stand Michalis neben seinem Taxi. Mit offenem Mund und unfähig, seinen Blick von so viel Frau abzuwenden. Er glaubte zu explodieren. Ein schriller Handyton riss ihn aus der Starre. Hastig lief er um den Wagen herum und öffnete den Kofferraum. Er stellte Vanitys Reisetasche direkt neben seinem Taxi ab. Dann fuhr er davon. Eilig und ohne Gruß. Trotzdem wagte er einen letzten Blick in den Rückspiegel, bevor er den Anruf seiner Ehefrau entgegennahm.

Vanity drehte sich glücklich im Kreis, die Arme weit ausgestreckt. Aufgerichtete Brustwarzen stießen neugierig gegen das Weiß der Seide. Dann ergoss sich Michalis. Mit einem unterdrückten Seufzer und direkt in seine graue Taxifahrerhose.
„Was gibt es da wieder zu jammern?“ zeterte seine Frau durch das Handy.

Es war kurz vor fünf mitten im September und Vanitys Urlaub hatte gerade erst begonnen.
Der Abend brachte keine Abkühlung. Das Meer war ein bleiernes Tuch. Träge und dunkel lag es ausgebreitet vor den Tavernen. Aus den Baumwipfeln erklang das Lied der Zikaden. Monoton und nervtötend. Menschengruppen, leicht gekleidet, saßen an kleinen Tischen auf hölzernen Stühlen. Fischer spielten mit derben Händen Karten. Frauen arbeiteten in der Küche, bereiteten Mahlzeiten für die Touristen. Die Luft roch nach Schweiß und Gegrilltem. In der Ferne durchbrach der blaue Bug eines Fischerbootes den stillen Zauber einer mondgespiegelten Wasserstraße. Griechische Kinder in leichten Shorts spielten Fußball auf dem großen Dorfplatz vor den Tavernen.

Michalis graue Taxifahrerhose war längst in der Waschmaschine. Der helle Fleck im Schritt war unbemerkt geblieben. Nicht nur die Maschine befand sich im Schleudergang. Seit Vanitys Ankunft war Michalis bereits mehrmals gekommen. Heftig und explosionsartig. Jedesmal unvorbereitet.
Nun lag er auf dem alten Ehebett mit den weichen Matratzen. Seine Frau saß im Wohnzimmer und stickte mit flinken Fingern eine weiße Decke für das Enkelkind. Es war Samstag, kurz nach acht und Michalis versuchte einzuschlafen. Er reckte seinen Körper, streckte seine Beine aus. Er dachte an Vanity, an Brustwarzen, die hart und rosa gegen weiße Seide stoßen. Aus der Spitze seines Gliedes rann ein glitzernder, weißer Tropfen. Michalis sah an sich herunter und stöhnte auf. Eine derartige Erektion hatte er seit seinem 16. Lebensjahr nicht mehr zustande gebracht. Er fühlte sich jung. Sehr jung.

Vanity liebte die amerikanische Flagge. Auch rote Lollys mit Kirschgeschmack. Sie mochte den Augenblick, in dem die Beschaffenheit der harten Kugel porös und nachgiebig wurde. So, dass sie den Saft ganz leicht heraussaugen und mit der Zunge auffangen konnte. Vanity war süchtig nach Kirchlollys. Mit gewohnter Selbstverständlichkeit legten sich ihre Lippen um die kugelige Süßigkeit. Weich und fleischig. Stets rot und vom Saugen leicht geschwollen.

Vanity genoss die milde Nacht. Sie setzte sich in die erste Taverne. An einen Tisch, der direkt am Meer stand. Nebenan spielten Fischer um Geld. Es herrschte ein rauher Ton. Erregtes Männergeschrei und Wortfetzen einer fremden Sprache drangen an ihr Ohr. Oben, aus dem in einer Baumkrone befestigten Lautsprecher erklang griechische Musik. Vanity fühlte sich lebendig. Sie atmete tief durch und sah sich um. Ihre bernsteinfarbenen Augen blitzten vergnügt. Dann begann sie zu singen. Vor Glück. Sie sang in die salzige Abendluft, in das reglose Schwarz des Meeres und mitten in das Gezeter der Fischer. Ihre Stimme war dunkel und warm, schwer wie alter Wein. Die Männer am Nebentisch hielten in ihren Bewegungen inne. Die Gespräche verstummten. Alle drehten den Kopf und sahen Vanity an, lauschten der Melodie. Selbst die Kinder vergaßen für einen kurzen Augenblick ihren Fußball und richteten ihre Blicke auf den kleinen Tavernentisch. Auf die Frau mit den hochgesteckten Haaren. Auf den schlanken Nacken, in dessen zarter Vertiefung sich kleine Löckchen verschwitzt zusammenkräuselten. Vanity griff in ihre Tasche, holte einen Kirschlolly hervor. Vorsichtig befreite sie ihn aus der bunten Plastikumhüllung. Sie hörte auf zu singen. Begierig schob sie die rote Kugel in den Mund.

Dann begann sie zu saugen. Bedächtig und gleichmäßig. Das Dorf hielt den Atem an. Die Fischer rissen die Augen auf. Ungläubiges Entsetzen auf den Gesichtern der Frauen. Vor der weißen Kirchenmauer lag der Fußball, schmutzig und unbeachtet. Vanity nahm die angespannte Stille nicht wahr. Zu konzentriert versuchte sie mit der Zunge das erste Loch in die klebrige Kugel zu bohren. Immerhin befand sich kurz vor der porösen Phase. Ihrer Lieblingsphase. Und das nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Endlich, nach einer letzten Anstrengung, gab der Lolly nach und verströmte seinen süßen Saft. Vanitys Zunge fing ihn auf. Sie lächelte zufrieden und schloss die Augen, legte den Kopf weit in den Nacken und seufzte leise „hmmm…“.
Auch die Fischer seufzten, aber aus anderen Gründen.

„Das war besser als alles, was sie in den letzten 10 Jahren auf dem Erotikkanal hatten“, krächzte Petros, heiser vor Aufregung.
Seine Freunde lachten. Es klang anzüglich und laut. Petros sprach ihnen aus der Seele. Nikos, der Jüngste, schlug mit der Faust auf den Tisch. Wie erwartet schaute Vanity herüber. Nikos kniepte ihr zu. Dann bestellte er Schnaps. Lautstark und mit grober Gebärde. Der dicke Hermes zog sein T-Shirt glatt. Es war fleckig vom Essen, dem Sud der Schnecken. Saucenreste glänzten noch jetzt auf seinem Kinn. Weiß und schwabbelig quoll sein Bauch aus dem T-Shirt, ruhte massig auf fleischigen Oberschenkeln. Doch Hermes war selbstbewusst. Er taxierte Vanity. Ein schmieriges Grinsen auf dem Gesicht eines Riesenbabys.

An das Kartenspiel dachte niemand mehr. Ein Pik-As lag auf dem Boden. Ein weiteres auf dem Tisch. Irgendjemand spielte falsch. Aber das war unwichtig geworden. So unwichtig wie die Ehefrauen und das Fischen. Es galt, Vanity im Auge zu behalten. Ihre Aufmerksamkeit zu erregen, selbst von ihren Lippen umschlossen zu werden. Eine Frau wie diese setzte selten einen Fuß in’s verträumte Tambiki. Das wussten die Männer. Auch die Frauen wussten es. Deshalb rechneten sie mit dem Schlimmsten. Schon stürzten sie in die Tavernenküchen. Mit schnellen Schritten. Sie scharten sich um die Kochtöpfe wie Geier um Aas. Es gab etwas zu bereden. Ungebührliches war geschehen. Der Ehefrieden war in Gefahr. Schuld war die Fremde. Die Fremde und ihr Lutscher.

Von Elke Schroeder

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