Von Eva Schuhbeck
Iraklion – Ankommen und so weiter
Die lärmenden Flugzeuge über Iraklion, die Touristen bringen und wieder abholen, und die pieksenden Federn meiner Matratze haben mich früh aufstehen lassen. Vom Balkon im dritten Stock des Hotels „Mirabello“ schaue ich auf kastenförmige, mehrstöckige Häuser und auf die schmalen Gassen hinunter, die noch im Schatten liegen.
Auf der Terrasse des Hauses gegenüber werden Hühner und Hasen gehalten. Ein Huhn spaziert zwischen den in Olivenölkanister gepflanzten Geranienstöcken umher. Sonnenstrahlen dringen durch leichten Morgendunst.
Ich gehe hinunter zum Hafen. Auch dieses laute Iraklion hat seine ruhigen, kontemplativen Ecken. Einige Männer nützen die frühen Stunden, um von den Befestigungsblöcken der Hafenmauer aus ihr Anglerglück zu versuchen. Eine Frau sitzt ganz eigenartig aufreizend auf einem Stuhl und liest Zeitung. Wartet sie hier auf Kundschaft?
Ich klettere auf die Mauer der Mole, um den Blick auf das offene Meer und den Hafen zu haben. Das Meer finde ich immer schön, die Bewegungen, die Farben, die Gerüche, die Geräusche. Beim Ankommen auf der Insel ist das Meer das Erste, das ich begrüßen möchte. Ist doch die Sehnsucht danach einer der Gründe, warum ich hierher komme. Ruhig, schwer, graublau und weiß blitzend breitet es sich im Morgenlicht vor mir aus.
Lentas – Baden und Schauen
Das Dorf liegt reizvoll. Besonders wenn man von Westen kommt. Dann sieht man Lentas vor einem kegelförmigen Berg liegen. Dahinter weitere gelbkahle Bergzüge des Asterousia-Gebirges, ins Meer hinabfallend. Von Osten her wird der Blick vom Löwenkopf-Berg begrenzt. Der Berg sieht aus, wie wenn er im Meer hocken würde. Das Dorf ist eine bunte Ansammlung von alten bescheidenen Häusern mit liebenswürdigen Gärten und neuen, großzügigeren weißen Würfeln mit Balkonen, Terrassen. Die Bauaktivitäten für den Tourismus halten sich in Grenzen. Treppen, kleine Gassen, Pfade.
Die Hauptstraße und ihr diffuses Ende auf einem Platz vor dem Supermarkt. Ein Laden/Büro für Geldwechsel und Autovermietung. Natürlich eine größere Anzahl Tavernen und Restaurants.
Ich schlendere umher und fotografiere einige „Stilleben“: Einen Hasenstall aus locker aufeinander geschichteten Betonsteinen, um eine Gittertür herum gebaut, zugedeckt mit Plastikfolie und mit Steinen beschwert. Einige Rollen Draht und das verbeulte blaue Blech eines Autokotflügels auf einem Holzstapel. Ein zufälliges Arrangement aus hölzernen Obstkisten, einer gelben Plastikschüssel und einem Stück verblichenen rostroten Teppichs.
Zwei Frauen sitzen nahe der Bushaltestelle plaudernd im Schatten einer Mauer. Gut gelaunt grüßen sie die Vorbeigehenden. Sie warten hier auf neu ankommende Reisende, um ihnen Zimmer zu vermieten.
Messara – Über die Dörfer
Mit dem Motorroller eine Tour über die Dörfer. Ambelouzos, Plouti, Moroni, Panagia, Roufas. In Kastelli machen wir eine Pause. Das Dorf liegt auf einer leichten Anhöhe. Die Häuser, gemütliche alte und hübsche neue, die Kirche frisch geweißt, reihen sich entlang der Hauptstraße. Wir folgen einer Seitenstraße, die nach wenigen Metern vor einem Garten mit Kürbissen und einem Schweinestall endet. Vor dem Kafenion in der Hauptstraße sitzen drei Männer. Nicht wie üblich mit dem Rücken zur Hauswand, sondern frei mitten auf der Straße. Weil es so luftiger ist, sagen sie.
Erstaunt und amüsiert schauen sie uns an. In diese Gegend kommen selten Touristen. Es wird eine heitere Nachmittagsstunde. Wir werden zu Kaffee und Limonade eingeladen. Einer der Männer stellt sich als der Dorflehrer vor, einer ist der Wirt und der Dritte sagt nicht, was er macht. Er ist der Älteste und Lustigste. Man macht uns Komplimente: Angeliki hätte eine gute Figur und ich schöne Augen. Fragen nach Woher und Wohin, Scherze, Lachen.
Im nächsten Dorf parken wir den Roller etwas außerhalb. Etwas scheu laufen wir durch die schmalen, verwinkelten Straßen. Wir wollen nicht in die Privatsphäre eindringen, nicht voyeurhaft das Dorfleben betrachten. Aber die Bewohner haben offensichtlich damit keine Probleme. Im Gegenteil, man freut sich über die Abwechslung, die Fremde bringen. Hier werden wir von Frauen eingeladen. Eine alte Frau möchte unbedingt, daß wir uns zu ihnen setzen. Ihre kleine gebeugte Gestalt ist ganz in Schwarz gekleidet. Sie bringt Stühle aus ihrem Haus, bietet Nüsse und Trauben an, zeigt uns das Hochzeitsfoto der Enkelin. Die Frauen wollen erzählen und auch etwas von uns erfahren. Sie wollen wissen, ob wir verheiratet sind, wo die Familie ist. Sie sind voller Liebenswürdigkeit und Herzensgüte.
Wir befinden uns in den Hügeln und Vorbergen des Ida-Massivs. Von den Höhen aus haben wir immer wieder einen phantastischen Blick auf die vor uns liegende, weit geöffnete Messara-Ebene.
Pitsidia – In Chariklias Haus
In meinem Zimmer sind die Wände weiß gekalkt, eine etwas dunklere Stelle scheint im Winter feucht zu sein. Die hölzernen Fensterläden in verblichener blauer Farbe werden von zwei großen Steinen am Auf- und Zufliegen gehindert. Zwei Betten mit weißen Laken und geblümten Kopfkissen bilden das Zentrum des Raumes. In der Ecke steht ein brauner Schrank. Zwei Stühle drängen sich an ein grünweißes Resopaltischchen. Ein winziges Spiegelschränkchen aus den 50er Jahren hängt an der Wand. An der Tür ein blaugemusterter Vorhang und eine dünne weiß-beige-braun gestreifte Nylongardine.
Der halbstündige Fußweg zum Strand führt leicht hügelig bergab durch Olivenhaine und sandige Dürre. Im Hintergrund bläulich-violette Berge. Immer wieder verwilderte Weinfelder. Eine Gruppe von Agaven mit lanzettförmigen, dornig gezähnten Blättern. Etwas fremd, an Mexiko erinnernd. Zwei hohe Blütenbäume. Kurz vor dem Komos-Beach sehe ich vor/unter mir eine umzäunte Ausgrabungsstätte liegen. Mauerreste, die Rechtecke erkennen lassen, kleine Räume, größere freie Flächen. Das war Komos, ein Hafen aus der minoischen Zeit, zu Festos gehörend.
Der Himmel ist so blau wie er nur sein kann. Henry Miller schrieb in Der Koloß von Maroussi: „In Griechenland möchte man im Himmel baden, möchte sich der Kleider entledigen und sich in das Blau des Himmels stürzen. Man möchte in der Luft schweben wie ein Engel oder steif im Gras liegen und die Wollust eines Starrkrampfes genießen. Stein und Himmel vermählen sich hier. Es ist die ewige Morgendämmerung des Erwachens der Menschheit.“
Aber man kann sich ins Meer stürzen, dessen Blau dem des Himmels nicht nachsteht. Vom langen Gehen erhitzt. Eintauchen, untertauchen. Eine kleine orgiastische Explosion in Kopf und Körper. Das libysche Meer an der felsigen Südküste Kretas ist das schönste.
Loutro – In den Bergen und am Meer
Bald kennt man die wichtigen Leute in Loutro, vor allem die Inhaber und Kellner der Tavernen. Da ist zum Beispiel der Dicke. Er hat eine gewaltige Bauchkugel. Darüber ein weißes T-Shirt. Ganz prall. Er ist liebenswürdig. Wenn er uns mit seinem gewinnenden Lächeln alle Speisen der Vitrine gezeigt und genannt hat, schaffen wir es kaum noch, zu einem anderen Restaurant weiterzugehen. Wir ergeben uns, setzten uns möglichst an einen Tisch ganz vorne am Meer, und bald wird das in der Mikrowelle erhitzte Essen serviert. Meistens schmeckt es auch. Und der dicke Mann freut sich.
Seit einiger Zeit trifft man in Griechenland vermehrt junge Menschen aus Albanien und den Staaten des ehemaligen Jugoslawien an. Sie sind billige Arbeitskräfte: Zimmermädchen, Kellner, Tomatenpflücker, Bauarbeiter. In früheren Jahren haben diese Rolle Langzeittouristen aus den mitteleuropäischen Ländern gespielt, junge Leute, die nicht in den heimatlichen Alltag zurück wollten, Frauen die sich in einen griechischen Mann verliebt hatten, Aussteiger auf Zeit oder unbestimmt. Ich unterhalte mich mit einem Bosnier, der während des ersten Jugoslawienkrieges nach Kreta kam. Er ist selbstbewusst, arbeitet als Barkeeper. Er fühlt sich angenommen und in gewisser Weise integriert. Aber er hat auch Sehnsucht nach seinem Land und möchte am Ende der Saison zurückgehen.
Der Albaner, der unser Zimmer in Nikos‘ Haus saubermacht, wirkt allerdings verhuscht und unglücklich. Es ist schwer, einen Kontakt zu ihm herzustellen.
Die Albaner werden von den Griechen am meisten abgelehnt. Man hält sie für Diebe. In großer Zahl kommen sie nach Griechenland, um Arbeit zu finden und mit ihrem Lohn die Familien in Albanien zu unterstützen. Viele sind illegal im Land und werden wieder abgeschoben.
Am Sweetwaterbeach zelten auch zwei alte Männer, Brüder oder ein Paar. Man erzählt uns, sie seien schon den ganzen Sommer hier. Sie sind sehr braun, nackt. Der eine schon etwas gebeugt. Richtige Freikörperkulturmenschen. Sie machen bisweilen seltsame Übungen. Kopfstand. Die nackten braunen Häute und Körperteile aushängend. Oder eine Art Sauna. Dazu decken sie sich völlig mit einer Plastikfolie zu und schwitzen so in der Sonne liegend vor sich hin. Richtige Freaks. Ich amüsiere mich köstlich über die beiden.