Anógia

Anógia

Anógia ist das größte Bergdorf Kretas am Nordhang des Ída-Gebirges. Um zu diesem Dorf zu kommen, biegt man von der alten Straße Iráklion-Réthymnon etwa 11 Kilometer hinter Iráklion links ab (Anógia, Axós). Von Réthymnon aus kommend, biegt man kurz hinter Pérama rechts von der Alten Straße ab. Die gleiche Strecke nimmt man übrigens auch zum Nachbardorf Axós.

Das Dorf ist eines der Zentren kretischer Volksmusik, von hier stammen die Familien Xyloúris (Níkos Xyloúris, der berühmteste der drei Brüder, starb leider viel zu früh an Kehlkopfkrebs, aber seine beiden Brüder, „Psarantónis“ und „Psarojánnis“ singen nach wie vor – sehr unterschiedlich, aber beide auf ihre Art einmalig) und Skoulás (Vassílis Skoulás gehört nicht zu Unrecht zu den beliebtesten und anerkanntesten Musikern der Insel).

Bei einer der hier veranstalteten „Cretan Nights“ für Touristen wird man diese Musiker allerdings nicht zu hören bekommen, denn das tun sie sich nun wirklich nicht an!

Zu Ehren des verstorbenen Níkos Xyloúris hat das Dorf ein Amphitheater seines Namens errichtet, in dem sich im Sommer (Ende Juli) nicht nur die gesamte Bevölkerung des Ortes versammelt, sondern auch die nichtkretischen Größen griechischer Musik zu Konzerten anreisen, wie Stamátis Kókotas, María Farantoúri u.a. In diesem Freilichttheater auf jeden Fall ein Erlebnis. Das Ganze dauert eine Woche lang. Auskünfte erteilt die Touristeninformation in Iráklion.

Der Ort Anógia liegt in drei Stufen am Hang des Gebirges, das eigentliche Zentrum (wenn es denn eins gibt) bildet die unterste Stufe, d. h. von Iráklion aus gesehen der letzte Teil des Ortes.
Am Ortseingang von Iráklion aus biegt links die Straße in die Nída-Hochebene ab, von wo aus der Psiloritis, der höchste Gipfel des Ida-Gebirges, bestiegen werden kann – siehe Besteigung des Psilorítis.

Biegt man in diese Straße ein, erreicht man kurz hinter der Abzweigung die Käserei von Anógia. Da hier Besucher selten sind, werden sie herzlich und neugierig empfangen. Man bekommt Käse zum Probieren reichlich angeboten und kann auch welchen kaufen. Dem Besucher verschlägt es ob Hitze, Feuchtigkeit und Geruch wahrscheinlich den Atem, aber es ist interessant. Übrigens gibt es in der Umgegend des Dorfes mehr als 100.000 Schafe und Ziegen, Rohstoff ist immer vorhanden!

Geschichte
Anógia wurde im 13. Jahrhundert von Bewohnern des benachbarten, weiter Richtung Réthymnon gelegenen Dorfes Axós gegründet, die sich vor fremden Invasionstruppen weiter in die Berge hinauf zurückzogen. Die venezianischen Truppen waren wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ gegen sie ausgerückt. Denn auch damals schon war die Bevölkerung hier eher unbotmäßig und ließ sich nicht viel gefallen.

Am traurigsten Kapitel in der Geschichte des Ortes wirkten allerdings die deutschen Besatzer im 2. Weltkrieg mit: Wie einige andere wurde auch dieses Dorf Opfer einer Vergeltungsmaßnahme. Im Jahre 1944 wurde bei Archánes der deutsche General von Kreipe entführt. Er wurde quer durch das Ida-Gebirge an die Südküste geschafft und mit einem englischen U-Boot nach Ägypten verschifft. Die Deutschen, denen das „Widerstandsnest“ Anógia schon länger ein Dorn im Auge war, denn die Bevölkerung hatte den Engländern häufig Unterstützung geleistet, befanden das Dorf für schuldig, als Versteck für den Entführten gedient zu haben (was übrigens kurzfristig auch so gewesen sein mag). Und wie so oft in der Geschichte, vergalten sie Gleiches mit Hundertfachem: Das Dorf wurde völlig vernichtet, alle männlichen Kreter im Dorf und im Umkreis eines Kilometers wurden erschossen. Heute erinnert eine Gedenktafel im unteren Teil des Dorfes am Dorfplatz an dieses Ereignis (die Gedenktafel hat die Form eines aufgeschlagenen Buches).

Eine weiteres Friedensmonument, das einerseits an dieses Verbrechen erinnern soll und andererseits ein Zeichen der deutsch-griechischen Versöhnung und des Verzeihung setzen soll und setzt, ist der „Antártis“ (der Partisan) auf der Nída-Hochebene.

In den Kafenía von Anógia hängen Dokumente aus dem kretischen Widerstand während der deutschen Besatzungszeit, der „katochí“, aber wie überall auf Kreta wird der deutsche Besucher auch hier deshalb keine Ressentiments erleben, wären sie auch noch so verständlich.

Heute ernährt sich das Dorf überwiegend durch die Herstellung von Teppichen und Decken. Anógia ist berühmt für seine Webarbeiten, fast in jedem Haus steht ein Webstuhl. Und überall hängen die farbenfrohen Teppiche im Läuferformat vor den Türen, schwarzgekleidete Frauen winken, hereinzukommen (leider auch hier inzwischen schon das berüchtigte „come and look“). Will man jedoch nichts kaufen, sollte man dies von Anfang an klar und deutlich sagen. Meist wird man dennoch hereingebeten. Das Wohnzimmer der Familie ist oft gleichzeitig Werkstatt und Verkaufsraum. Was hier produziert wird, kann man auch überall sonst auf Kreta erwerben, aber nirgendwo billiger.
Allerdings hörte ich mal von einer Bekannten, sie habe z. B. in Spíli oder auf der Lassíthi-Hochebene preiswertere und genauso schöne Teppiche angeboten bekommen.

Vermutlich hat sich der gute Ruf von Anógia so sehr herumgesprochen, dass die Einheimischen hier jetzt auch auf den Trichter gekommen sind. Und die Einwohner verkaufen natürlich lieber direkt an die Touristen, denn diese zahlen mehr als die Einkäufer der Souvenirläden. Fast ebenso bekannt (ich nenne es hier lieber „berüchtigt“) ist Anógia für die touristisch-folkloristischen Darbietungen, die der Reisende pauschal ab Iráklion oder anderen Städten buchen kann. Heißen sie nun „Cretan Nights“ oder irgendwie ähnlich, hier kann man das alte Kreta erleben wie fast nirgendwo sonst. So behauptet es jedenfalls die Werbung. Um was es sich dabei tatsächlich handelt, kann man im Sachregister ausführlich unter dem Stichwort „Cretan Nights“ nachlesen.

Sehenswert
Die Kirche des Ágios Charálambos am Dorfplatz (im unteren Teil des Dorfes), ein zweischiffiger Bau aus dem 14./15. Jahrhundert mit gut erhaltenen Fresken (direkt neben der Durchgangsstraße). Des weiteren (wenn auch profaner) beim Dorfplatz im unteren Teil des Dorfes eine kleine Bäckerei, die u.a. Hochzeitsbrote in großer Auswahl anbietet.

Am Dorfplatz selbst liegt hinten rechts (gegenüber des Kafeníos) das Geburtshaus der Xyloúris-Brüder, an der anderen Ecke des Platzes neben einem anderen Kafenío das Geburtshaus von Vassílis Skoulás (sein Vater lebt noch dort und fertigt urige Schnitzereien aus Olivenholz an, z. B. berühmte kretische Charaktere wie Venizélos oder Kazantzákis, die er auch zum Verkauf anbietet).

Das Museum Alkibiádes Skoulás liegt ebenfalls hier ganz in der Nähe (ausgeschildert). Der Maler verstarb in den Neunziger Jahren, heute führt sein Sohn Geórgios das Museum, in dem die farbenfrohen naiven Bilder seines Vaters ausgestellt sind. In diesen Bildern wird die Geschichte Kretas und Anógias lebendig. Offiziell ist derzeit der Eintritt frei, aber ein kleiner Obulus ist willkommen und wird zu Recht erwartet.
Sollte das Museum geschlossen sein, kann man in einem der Kafenía am Platz nachfragen.

Die Ausgrabungen von Zóminthosauf der Nída-Hochebene.

Unterkunft
Zwei Hotels der E-Kategorie: „Imarmeni“; 6 Zimmer/16 Betten; Tel. 28950-31365; und „Psiloritis“; 4 Zi/9. B.; Tel. 28950-31231.

Öffentliche Verkehrsmittel
Busverbindung mit Iráklion 6x täglich, sonntags nur 2x.
Busverbindung mit Réthymnon 3x täglich.
Man kann also auch mit dem Bus von Iráklion nach Réthymnon auf dieser Strecke fahren, ein wenig Zeit vorausgesetzt.