Die Musen

Die Musen

Wie man immer wieder hört und liest, war der gute alte Zeus ein richtiger Schwerenöter. Er trieb sich gerne auf der Erde herum und besonders gerne trieb er es mit den Damen seiner Schöpfung. Man kennt ja auch die Geschichte, wie er als Stier verkleidet Europa, die Tochter des Phönizierkönigs Agenor nach Kreta entführte, um sie dortselbst zu vernaschen.
Natürlich, nachdem er sich wieder zurückverwandelt hatte, den Stier wollte er ihr nicht zumuten. Aber um Kreta soll es hier nicht gehen, sondern um das Ergebnis anderer Liebesabenteuer des scharfen Götterchefs.

Diesmal blieb er ganz in der Nähe des Olymp, in der Gegend Pierien nämlich, wo er sich ganze neun Nächte am Stück mit einer Dame fast seines Standes, der Titanin Mnemosyne, vergnügte. Bei dieser Gelegenheit fiel übrigens erstmals der heute noch gerne verwendete Ausspruch: „Du liebst einfach göttlich!“
Mnemosyne war die Tochter des Uranus und der Gaia und hätte nach dem Abenteuer mit Zeus ohne weiteres zur Fruchtbarkeitsgöttin ernannt werden können, aber den Job hatte ja schon Demeter. Die neun Liebesnächte hatten nämlich nicht weniger als neun Töchter zur Folge, und das waren die Musen. Insgesamt waren die neun eine sehr fröhliche Truppe, immerzu sangen und tanzten sie. Abgesehen davon waren ihnen der Mythologie zufolge die Quellen heilig, vermutlich hatten sie wie viele Frauen einfach einen starken Waschzwang. Wahrscheinlich waren sie am Anfang aber auch ein bisschen undiszipliniert, wie das kleine Mädchen eben manchmal sind, sangen und plapperten also ziemlich unkoordiniert durcheinander.
Zwar erfreuten sie die Götter im Olymp mit ihrem Gesang, und traten auch gerne öffentlich auf, z.B. bei den Hochzeitsfesten von Peleus und Thetis, der Harmonia und des Kadmos oder auch bei anderen Festen wie der Beerdigung des Achilles.
Ihr Chorleiter war übrigens ein waschechter Gott, Apollon nämlich.

Weil inzwischen die menschlichen Dichter und bildenden Künstler auf den Trichter gekommen waren, man könne sich bei der Arbeit ein bisschen helfen lassen, guckten sie sich dafür die Musen aus, weil die ja sonst nicht viel zu tun hatten, und baten sie um Hilfe. Das mit den Musen funktioniert ja auch heute noch ganz gut, wenn ich z. B. an den Kölner Künstler H. A. Schult und seine Muse Elke Koska denke.

Apollon hatte wie viele Chorleiter den Wunsch, dass sein Chor ein bisschen professioneller werden sollte. Und außerdem fingen die Mädchen schon mal an zu maulen, weil die Menschen immer bei den gleichen Musen um Hilfe baten, und ein paar andere überhaupt nichts tun mussten (oder durften, je nach dem). Also hatte er die Idee, jedes der Mädchen sollte für eine ganz bestimmtes Gebiet der schönen Künste zuständig sein. Und er verteilte sogleich die Aufgaben:
Die stellvertretende Chorleiterin und Hauptmuse „Kalliope“ lernte Gitarrespielen und lange Epen aufzusagen und ist also insbesondere für das Saitenspiel zuständig. Die Musen „Clio“ und „Urania“ waren eher im wissenschaftlichen Bereich tätig, die eine in Geschichte, die andere in Astronomie. Clio war übrigens bei den anderen Musen nicht sonderlich beliebt, weil sie ständig etwas zu nölen hatte, und sie bekam deshalb insgeheim den Spitznamen „Pampel-Muse“.
Dann gab es die beiden Theatermusen „Melpomene“ und „Thalia“, sie teilten sich den Job, der einen oblag die Tragödie, der anderen die Komödie (jetzt wissen wir auch, warum das Thalia-Theater in Hamburg so und nicht anders heißt).
Dann gab es die Muse „Erato“, deren Aufgabengebiet das Liebeslied war (deswegen nannten die anderen sie manchmal auch scherzhaft „SchMuse“), die Muse „Euterpe“ war allgemein für Lyrik und Musik zuständig, und die Muse „Polyhymnia“ für Tanz, ernstes Lied und Pantomime.
Die neunte Muse sollte ursprünglich für das Kochen zuständig sein, denn zwischendurch muss man ja auch was essen. Sie protestierte dagegen allerdings heftig und zwar hauptsächlich mit der Begründung, dass ihre Schwestern, die ja immer so lustig drauf waren, ihr den Spitznamen „Muse au chocolat“ geben würden, und das wollte sie wirklich nicht.
Sie war zwar der Sage zufolge etwas dunkelhäutiger als die anderen, was Zeus auch zuerst sehr misstrauisch machte, nach dem Motto, da war wohl noch ein anderer Mann zwischendurch im Spiel, aber Mnemosyne war nicht nur ausdauernd im Bett, sondern auch sehr schlagfertig. Und sie antwortete ihm einfach: „Ach Zeusi, das bist du doch selber schuld. Du hast immer das Licht brennen lassen, außer in der 6. Nacht. Da hast du es ausgemacht und ich sagte noch, tu es nicht … und jetzt ist sie halt ein bisschen dunkler geworden!“

Aber zurück zum Thema: Die neunte Muse, „Terpsichore“ war ihr Name, wollte also unbedingt was anderes machen als Kochen. Irgendwann gab Apollon nach und sagte: „Na schön, was haben wir denn sonst noch nicht“, und dann fiel ihm was ein und er entschied: „Terpsi, pass auf, du kriegst den Chorgesang!“ Sie war immer noch nicht zufrieden und maulte: „Das soll alles sein? Ausgerechnet Chorgesang, das ist doch eine Schweinearbeit! Ich will noch was anderes dabei!“ Und weil Apollon zwar langsam ein bisschen genervt war, sie ihn aber so niedlich ansah mit ihren großen bittenden Kulleraugen, da gab er seinem Herzen einen Stoß: „Also gut, einmal im Monat darfst du auch tanzen. Aber nur griechische Tänze, sonst kriege ich wieder Ärger mit Polyhymnia, die ist doch schon für die anderen Sachen wie Twist oder Tango zuständig!“
Die kleine Terpsichore war eigentlich immer noch nicht so ganz zufrieden, maulte noch so was wie „immer auf die kleinen Zurückgebliebenen“ und „ich kriege immer nur das, was übrig bleibt“, aber jetzt hatte Apollon wirklich endgültig die Schnauze voll. Er schaute sie streng an und antwortete: „Ich bin hier der Chorleiter und deswegen …“
„Ja, ja schon gut,“ sagte Terpsi, „ich weiß schon, der Chorleiter hat immer recht!“
Und die anderen acht Musen sangen laut im Chor: „Wo er Recht hat, hat er Recht!“ Und deswegen geht Terpsichori heute nicht in die Disco, sondern ist die Schutzheilige eines Vereins und Chors in Köln geworden. Und ist immer noch nicht zufrieden!