Ihr werdet Euch sicher wundern, wenn Ihr erfahrt, wer euch hier etwas aus seinem Leben erzählen will, denn ich bin ein Haus.
Normalerweise halten sich Häuser ja eher geschlossen und ich habe es mir sehr lange überlegt. Ich tanze einfach mal aus der Reihe.
An meinen ersten Tag kann ich mich so gut erinnern, als ob es gestern gewesen wäre. In meinem Inneren waren ganz viele Leute und alle redeten durcheinander.
Zwei Männer waren damit beschäftigt das Ofenrohr anzubringen und alle anderen wussten viel besser, wie man so was macht. Eigentlich hätte ich mir zu meiner Geburt schon eine feierlichere und friedlichere Atmosphäre gewünscht, aber es war wenigstens Leben in der Bude.
Oh, das Wort „Geburt“ in meinem Zusammenhang sollte ich vielleicht erklären. Es ist nämlich so, dass ein Haus erst anfängt zu leben, wenn ein Herd Einzug hält.
Während die getane Arbeit mit Raki begossen wurde, machte ich mir Gedanken, wer wohl meine Bewohner werden würden. Ich wünschte mir die junge Frau und den Mann, die sich immer so verliebt anschauten. Spät, ziemlich spät gingen dann alle nach Hause und ich sah, wie sich das Pärchen auf dem Weg noch einmal zu mir umdrehte und sich küssten. Glück gehabt, dachte ich. Die nächsten Wochen vergingen damit, dass immer mehr Möbel durch meine Tür hereingebracht wurden. Mir gefiel das Bett am besten. Es war aus hellem Holz und am Kopfteil mit wunderschönen Schnitzereien verziert.
Eines Tages versammelte sich das ganze Dorf vor und in mir. Sie hatten eine Truhe mitgebracht, begutachten mich und das Mobiliar und warfen Geld und Kinder auf das Bett. Es wurde gegessen und getrunken und Musik gab es auch.
So, dachte ich. Jetzt ist es soweit. Langsam war ich nämlich schon ein bisschen ungeduldig geworden. Ich wollte doch endlich das Zuhause von Eleni und Manousos (inzwischen kannte ich ihre Namen) werden. Aber alle verschwanden wieder, auch die beiden.
Ein paar Tage später wurde ich durch Gewehrschüsse, Musik, Gesang und Gelächter geweckt. Die ganze Nacht konnte ich kein Fenster mehr zumachen und es war schon lange hell, als ich meine beiden schwankend auf mich zukommen sah. Endlich zogen sie ein und ich war bewohnt.
Die ersten Monate waren die schönsten. Manousos verließ uns nur für ein paar Stunden am Tag und ich freute mich immer über die überschwänglichen Verabschiedungs- und Begrüßungsrituale. Der erste Baum wurde gepflanzt und der Gemüse- und Blumengarten von Eleni war eine wahre Pracht.
An einem heißen Tag wurde ich durch einen Schrei aufgeschreckt. Eleni schien es nicht gut zu gehen. Sie tat mir furchtbar leid und ich war froh, dass Manousos gerade vom Feld zurück kam. Er rannte sofort wieder los und kam mit Maria, Elenis Mutter, zurück. Ich glaubte meinen Fenstern nicht zu trauen. Er blieb draußen, lief ständig auf und ab rauchte eine Zigarette nach der anderen, während Eleni offensichtlich litt. Irgendwann hörte ich sie dann aber nicht mehr. Stattdessen quäkte irgendetwas. Es dauerte eine Weile bis ich begriff. Wir hatten Zuwachs bekommen. Den – oder besser die Erste von dreien. Und das war (wie ich später erfuhr) auch der Grund, warum sich Manousos nicht so freute, wie ich (und nicht nur ich) es eigentlich erwartet hätte. Einmal bekam ich mit, wie er mit seinem Vater über seine Sorgen sprach. Es ging darum, wie er die Mitgift seiner Tochter finanzieren sollte.
Nach Maria kamen dann noch Kostas und Nikos. Es wurde quirlig und ein wenig eng. Ich bin ja schließlich nur ein ganz kleines Haus und wahrscheinlich verbrachte Manousos deshalb auch immer mehr Zeit im Kafenio.
Einmal hatte er ganz viel Arbeit mit mir. Das war, nachdem es mal sehr stark gewackelt und ich ein paar Risse bekommen hatte. Das Dach musste ebenfalls geflickt werden. Meine Seele war auch beschädigt. Bis dahin war ich so stolz gewesen, dass ich die Erschütterungen immer unbeschadet überstanden hatte.
Die Jahre vergingen, die Kinder wurden größer und das Dorf immer leerer. Viele Nachbarn zogen in die Stadt, weil man dort mehr Geld verdienen konnte. Auch Maria und Kostas gingen, um in Hotels zu arbeiten. Ich habe gehört, das sind Riesenhäuser, in denen Hunderte von Gästen beherbergt werden, die dafür bezahlen. Es gibt schon komische Sachen. Nikos verließ uns dann auch. Er verließ sogar die Insel. Athen ist weit weg und soll unvorstellbar groß sein. Man sagt, dort leben mehr Menschen, als Oliven in einem guten Jahr an den Bäumen eines ganzen Hains wachsen.
Eleni und Manousos wurden alt und immer gebrechlicher und eines Morgens wachte Manousos nicht mehr auf. Eleni überlebte ihn noch 3 Jahre. Maria kam dann, räumte mich aus und seitdem habe ich keinen mehr aus der Familie gesehen. Ich sehe auch sonst nur selten jemand.
Im Sommer – ja da kommen Autos. Die Leute steigen aus und fotografieren die Überbleibsel meiner Artgenossen. „Pittoresk!“ sagen sie. Was immer das auch heißen mag. Mich übersieht man meistens. Erstens stehe versteckt hinter Bäumen und zweitens sehe im Vergleich noch sehr gut aus. Die interessieren sich wohl nur für Ruinen.
Letztes Jahr waren ein Mann und drei Frauen hier. Ich konnte mir nicht so recht zusammenreimen, wie die zusammengehören. Manousos sagte immer: „Die eine Frau ist schon zu viel.“ Gemeint hat er das bestimmt nicht so. Aber egal. Auf jeden Fall haben sie mich entdeckt und das Wort „verwunschen“ fiel und man könnte eine Geschichte über mich schreiben.
So, und nun würde ich doch zu gerne wissen, ob sie es wirklich gemacht haben.
Von Ursula Holz