Als mich Nikos um halb vier Uhr morgens weckte, war es noch dunkel und mir kam es vor, als hätte ich gerade mal zehn Minuten geschlafen. Er bemerkte nicht, wie mies es mir ging, sondern beorderte mich an die Ruderpinne, um mir armer Socke das kleine 1×1 des Kaikifahrens beizubringen.
Ich lernte trotz meines jämmerlichen Zustandes relativ schnell, wie man Vor- und Rückwärtsgang sowie den Leerlauf bedient, denn da gab es nur einen einfachen langen Metallstock, den man nach vorne oder hinten schieben musste (übrigens wie bei Automatikautos nach vorne, um rückwärts zu fahren). Wie man lenkte, war auch nicht so schwer … und nachdem ich ein paar Kreise gedreht hatte und auch wieder „rückwärts einparkte“, war er sehr zufrieden: „Íse télios, very good!“
Vor lauter Stolz ging es mir augenblicklich ein bisschen besser. Dann übernahm Nikos aber erstmal wieder die Pinne und wir suchten nach der Boje mit dem Lämpchen. Kaum hatte das Boot wieder richtig Fahrt aufgenommen, ließ auch das unangenehme Querschaukeln erfreulicherweise nach. Manolis stand am Bug und rief plötzlich: „Náto, dexiá!“
„Da ist es, rechts!“ – Backbord und Steuerbord kennen griechische Fischer nicht … Nikos und ich spähten ins Dunkel und da war das Lämpchen wirklich schwach zu erkennen. Nikos schob den zweiten kleineren Metallhebel nach hinten, änderte den Kurs und wir hielten in voller Fahrt auf das Lämpchen zu.
Nikos drosselte die Geschwindigkeit wieder und ganz langsam schob sich das Boot an die Boje heran. Ich passte auf wie ein Schießhund, ich wollte jetzt was lernen und hatte keine Zeit mehr, mich auf meine Übelkeit zu konzentrieren.
Manólis ergriff den „Gántsos“, eine mehr als einen Meter lange kleinfingerdicke Eisenstange, die vorne zu einem Haken (mit geschliffener Spitze) gebogen war (dieses neue Wort lernte ich so auch kennen – ich lernte in diesen Wochen eine Menge Fischer-Griechisch) und angelte die Boje heraus, indem er mit dem Haken um die Leine fasste. Die Boje wurde gelöst, das Lämpchen wurde gelöscht und aus dem Weg geschafft.
Nun war ich an der Reihe: Die beiden anderen gingen nach vorne, ich übernahm das Ruder und hatte nun das Kaiki nach ihren Handzeichen immer „der Leine nach“ zu steuern, nicht zu schnell und nicht zu langsam, während die beiden gemeinsam die Leine einholten (ich konnte die Leine allerdings nicht sehen). Nikos saß an vorderster Front und schaute immer wieder aufgeregt ins Wasser, wenn es anscheinend etwas schwerer ging. Manolis stand hinter ihm, löste die nicht abgefressenen Köder von den Haken und warf sie ins Meer. Dann verstaute er das Paragádi genauso ordentlich wie vorher in der Kiste. Zwischendurch brüllte Nikos immer mal wieder Befehle nach hinten, aber schien ganz zufrieden mit mir zu sein.
Die ersten 30-50 Haken waren erfolglos „spazierengegangen“, wie es Nikos gerne ausdrückte. Aber dann: „Niko, lígo pio dexia – échi práma …!“ Er unterstützte den Befehl durch eine kurze Richtungsanzeige mit der Hand. „Echi práma“ … so lernte ich bei der Gelegenheit, hieß bei den Fischern soviel wie „es ist was dran!“ (wörtl. etwa „es gibt eine Sache“).
Ich sah nicht, ob es wirklich was gab, aber Manolis griff wieder nach dem Gántsos, der diente offensichtlich verschiedenen Zwecken. Und nun war es so weit. Auf einen letzten Wink von Nikos nahm ich den Gang raus und die beiden wuchteten einen silberglänzenden Fischkörper an Bord.
Manólis drehte sich zu mir um: „Na, Xifias … triánda kilá perípou!“ Und dann sah ich ihn auch besser, denn es dämmerte bereits stark. Ein Schwertfisch von etwa 30 Kilo (übrigens, alle die Worte, die ich hier übersetze, kannte ich bis zu jener Nacht nur bedingt, aber ich lernte durch Anschauung jeden Tag dazu).
Weiter ging es … wir fingen in dieser Nacht drei Schwertfische und ich grübelte, ob drei Fische diesen Aufwand wert gewesen waren, aber die beiden anderen schienen recht zufrieden zu sein (später erlebte ich durchaus öfter, dass man auch ganz ohne Fang nach Hause kommen konnte und dann nur die Ausgaben für Köder und Diesel an der Backe hatte, und da verstand ich ihre heutige Zufriedenheit besser).
Dann waren die Paragádia wieder alle ordentlich verstaut. Längst war die Sonne aufgegangen. Ich nahm an, dass damit mein „Steuermannsdienst“ erst einmal zu Ende war, aber weit gefehlt. Nikos wies mit dem Arm nach Süden: „To vlépis to Kókkino Pýrgo?“ Das verstand ich sogar … „Éla, na mas pas ekí, emís échoume douliá.“ Er machte eine auffordernde Handbewegung und ging wieder nach vorne.
Ich verstand soviel, dass ich das Boot jetzt selbständig Richtung Heimat steuern sollte. Welche Ehre! Also schmiss ich den Gang wieder rein, schob den Gashebel nach vorne und zog das Boot in einem weiten Bogen herum und nahm Kurs in die angegebene Richtung. Dann wurde ich übermütig – was übrigens ohne Folgen blieb. Wenn man das Boot nämlich im Sitzen steuerte, konnte man nach vorne praktisch nichts sehen, da das große Ruderhaus über dem Motor die Sicht verdeckte. Also erinnerte ich mich daran, wie es Nikos und Manolis gemacht hatten. Ich stand einfach auf (es gab eine Stange zum festhalten) und lenkte das Boot mit den Füßen. Geil! Nikos und Manolis nahmen die Fische aus und machten sie verkaufsfertig. Nikos schaute dann und wann mal, ob der Kurs noch in etwa stimmte und grinste, als er mich hinten inzwischen fast lässig stehen sah.
„Íse kapetánios!“ Das verstand ich trotz des Lärms des schnell laufenden Diesels …
Die damals noch kleine Mole von Kókkinos Pýrgos war inzwischen klar zu erkennen. Nikos hatte schon vor einiger Zeit eine Raki-Flasche geöffnet und sie kamen zu mir nach hinten. Die Flasche kreiste. Nikos steckte mir eine brennende Zigarette in den Mund, nahm mich kurz in den Arm und grinste …
Erst als ich das Boot in einer Kurve in den Hafen lenkte, löste er mich wieder ab, denn für das Anlegemanöver war ich wohl noch nicht reif genug. Ich beobachtete es aber mit Argusaugen – ich beschreibe es dann später noch mal, als ich es selber durchführen durfte. Mir war überhaupt nicht mehr schlecht … dennoch war ich nicht überzeugt, ob ich das meinem Magen noch einmal antun sollte. Obwohl die ganze Flasche Raki, die wir auf nüchternen Magen getrunken hatten, diesen angenehm wärmte und beruhigte.
Wir luden die Fische aus und auf die Ladefläche von Nikos‘ altem Pick-up, auf dem auch eine altertümliche Waage hing. Fast zwanzig Einheimische hatten uns schon erwartet. Nikos und Manolis schnitten mit einem großen scharfen Messer die gewünschten Portionen ab und warfen sie auf die Waage. Dann rechnete Nikos mühsam auf einem Block den Preis aus. Nach dem dritten Mal wurde es mir zu bunt.
„Niko, what does a kilo of xifias cost?“
„800!“
„This piece is 700 grammária, so the price is 560 Drachmes.“
Er schaute mich mit großen Augen an.
„And 1200 grammária?“
„960 Drachmes!“
„O.k., you will be the tamías!“ (der Kassierer).
Jetzt lief alles viel schneller. Nikos und Manolis zerteilten und wogen die Fische, riefen mir das jeweilige Gewicht zu und ich kassierte … alle Umstehenden waren von meinen doch gar nicht so umwerfenden Kopfrechenkünsten sehr beeindruckt, denn so was kannten sie nicht.
Im Handumdrehen war der Fisch (insgesamt 80 Kilo) verkauft, nur ein Stück behielten wir zurück und ließen es uns von Jannis braten. Nach dem Frühstück hob Nikos das Glas: „You are now the third captain of ‚Koursaros‘ ke o tamías … to vrádi páli!“
Ich traute mich nicht, ihm zu sagen, dass ich eigentlich an diesem Abend nicht wieder mitfahren wollte … Ich fuhr deshalb mit den beiden später nach Timbáki, wo sie wohnten, und besorgte mir in der Apotheke ein Mittel gegen Seekrankheit. Ich verriet es ihnen aber nicht … und übrigens hals es auch. In der nächsten Nacht hatte ich kein Problem und auch danach nie mehr wieder.