Kreta 1975 – Teil 3

Manolis und Nikos kamen am nächsten Spätnachmittag „pünktlich“ zu Jannis und holten mich ab, um von dort aus die wenigen Meter zur Mole zu fahren.
Der Ablauf war der gleiche wie am Abend und in der Nacht zuvor … mit dem für mich entscheidenden Unterschied, dass wir die Paragádia dieses Mal wesentlich näher an den Paximádia-Inseln auslegten und wir deshalb statt auf dem offenen Meer vor Treibanker dümpelnd eine kleine Bucht der Paximádia anliefen und dort ankerten.

Hier lag das Boot ziemlich ruhig, mein Magen war es zufrieden, und mein Gefallen am Fischerdasein wuchs … auch wenn es wirklich nicht halb so romantisch ist, wie es sich mancher vorstellen mag. Aber für mich hatte es den Geschmack von Freiheit und Abenteuer. In dieser Nacht fingen wir nur zwei Schwertfische, aber das reichte auch, um die Kosten zu decken.
Ich vergaß übrigens zu erwähnen, dass Nikos auch mir einen kleinen Anteil ausbezahlte, wenn wir erfolgreich waren.

Von da an hatte ich einen geregelten Tagesablauf: Gegen 5 Uhr nachmittags tauchten die beiden auf und gegen 9 oder 10 Uhr morgens kehrten wir zurück – mal verkauften wir unseren Fisch in Mátala, mal in Kókkinos Pýrgos … und mal … z. B. in der Nacht; die wir in Kalí Liménes an Land geschlafen hatten, waren die Paragádia zwar kilometerweit „spazieren gegangen“, sodass wir sie erst bei Tageslicht wiederfanden, aber kein einziger Xifías hatte angebissen …

In der Regel ging ich gegen 11 Uhr (vormittags) schlafen, um dann kurz vor 5 Uhr wieder aufzustehen. Gegessen wurde morgens und abends Fisch (das war das Einzige, was ich weniger spannend fand). Nur einmal die Woche war Ruhetag und dann zog ich mir Jannis eine Riesenportion Koteletts rein.

Meine Jeans blieb inzwischen nach dem Ausziehen senkrecht neben dem Bett stehen, so sehr war sie voller Meersalz. Einmal die Woche weichte ich sie zwar in Süßwasser ein, aber das hielt nie lange.
Mein Pidgin-Fischergriechisch wurde immer besser, zumindest verstand ich alles und konnte auch schon einiges anwenden … was aber nicht im Geringsten heißt, dass ich Griechisch gekonnt hätte, wie ich im folgenden Jahr leidvoll erfahren musste.

Ich muss noch erwähnen, dass wir manchmal sogar zu fünft unterwegs waren: Michalis, ein kleiner verschmitzter Glatzkopf, der auch ein eigenes kleines Boot mit Außenbordmotor besaß und sein Freund Lefteris, der nur selten und aus Hobby zum Fischen fuhr.

So war es auch in dieser Nacht: Wir hatten die Paragádia diesmal sogar außerhalb der Paximádia ausgelegt und sie nur sehr schwer wieder gefunden, und zwar erst, als es dämmerte. Es herrschte hier draußen ein ziemlicher Seegang und außerdem war der Morgennebel ziemlich dicht. Wir hatten nun zwar die Leinen wieder gefunden, wussten aber längst nicht mehr genau, wo wir waren. Irgendwo sehr weit draußen. Erwähnte ich bereits, dass dieses alte Boot natürlich über kein Radar verfügte?

Nikos blieb selbst am Ruder, da das Meer doch ziemlich rau war, dafür bekam ich einen fast ebenso spannenden Auftrag. Ich musste auf den kleinen Mast klettern, weil ich von da oben über die Kämme der Wellen wohl eher anhand der kleinen „Bojen“ die Richtung der Leine verfolgen konnte. Es ging tatsächlich einigermaßen und ich lenkte Nikos durch Zurufe und Gesten von oben. Die Leine verlief kreuz und quer, was recht ungewöhnlich war … Schwertfische kämpfen in der Regel nicht lange.

Zwischendurch überlegte ich, was passieren würde, wenn nun plötzlich aus dem Nebel ein großer Frachter vor uns auftauchen würde … doch ich verwarf den Gedanken lieber gleich wieder.

Dann hörte ich die ersten Rufe: „Echi práma!“
Der erste Schwertfisch wanderte an Bord … normales Kaliber. Ich konnte das von hier oben wie aus einem Logenplatz beobachten. Und gleich am nächsten Haken wieder einer, sogar eine Nummer größer. Die Stimmung an Bord stieg.
Doch dann bog die Leine wieder einmal fast im rechten Winkel ab und es dauerte eine Weile, bis das Boot richtig dran lag. Plötzlich beugte sich Manolis, der als vorderster die Leine einholte, über die Reling und brüllte: „Karcharías!“

Dieses Wort hörte ich zum ersten Mal, aber ich merkte sofort, dass es auf die anderen wie ein Alarmruf wirkte. Und dann sah ich auch den silbrigen Schatten, der mit der Leine immer höher zum Boot gezogen wurde: Nicht so gedrungen wie ein Schwertfisch, sondern viel schlanker und um einiges länger. Was war das? Ich mache es kurz, es war ein Hai! Und der hatte vermutlich die Leine so durcheinander gebracht.

Ihn an Bord zu bekommen, kostete fast eine halbe Stunde … er wehrte sich nach Kräften, aber es gelang, ihn mit dem Gántzos kurz vor dem Schwanz zu erwischen und ein Tau darum zu binden. Ein weiteres Tau wurde um den Hals geschnürt und dann bekamen wir ihn endlich an Bord. Mit den Leinen wurde er vorne und hinten fest vertäut. Erst dann traute sich Manolis so weit an ihn heran, dass er ihm sein schweres Fischermesser etwa zwanzig Mal in den Kopf jagen konnte – richtig still lag der Hai danach noch lange nicht, aber er schien jetzt nicht mehr gefährlich zu sein, denn wir machten weiter.

Und tatsächlich brachte uns dieser Tag noch vier weitere Schwertfische, darunter einen echten Großvater, der alleine ca. 65 Kilo wog! Das war unser Tag …

Wer übrigens nun Bedenken bekommen sollte, auf Kreta Baden zu gehen, sei beruhigt. Solche großen Haie – er war immerhin ca. 4,50 Meter lang! – gibt es in Küstennähe nicht! Wir befanden uns mindestens 15 Kilometer weit draußen auf dem Meer. Das stellten wir fest, als jetzt endgültig die Sonne durch den Nebel brach und wir wenigstens wussten, in welche Richtung wir nun fahren mussten.

Es wurde auch viel später diesmal, wir kamen erst gegen Mittag wieder an. Nachdem der Fisch verkauft war (einen Teil brachten wir nach Agía Galíni, es war einfach zu viel), fuhren wir nach Kókkinos Pýrgos zurück und feierten erst einmal ausgiebig. Ich erfuhr während des Verkaufs auch, warum es noch einen zweiten Grund gab, warum die Fischer Haie nicht so gerne an der Angel hatten: Sie machten nicht nur ungleich mehr Mühe, sondern brachten auch nur ein Viertel des Kilopreises der Schwertfische ein.

Als unsere Feier um vier Uhr nachmittags noch nicht zu Ende war, stand für mich fest: Diese Nacht würden wir wohl nicht rausfahren. Und so war es auch …

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