Und dann fuhren wir wieder mal nach Kókkinos Pýrgos, aber wie ich anderen Berichten entnehme, war ich nicht der Einzige, der in jenen Jahren immer wieder dort aufschlug. Das „Dorf“ bot nämlich neben aller Hässlichkeit den Vorteil, dass man dort im Gegensatz zu Mátala und insbesondere Agía Galíni kaum andere Touristen antraf (und wenn, immer die gleichen paar, die dort schon fast zum Inventar gehörten).
Es gab ja auch nicht viel Besonderes dort: Direkt an der Hafenmole, die damals noch viel kleiner war (siehe Foto) ein Restaurant, das auch ein paar Zimmer vermietete, und wirklich für damalige Verhältnisse überteuertes Essen anbot. Der Wirt wurde dem Vernehmen zufolge auch mal wegen Preiswuchers verknackt. Des weiteren Kostas Kafenío und Jannis unsägliche Kneipe, die ich ja schon beschrieben habe. Jannis betrachtete mich nach den Vorjahren sowieso als sein persönliches Eigentum und hätte gar nicht zugelassen, dass ich woanders esse … insbesondere, als er Yvonne in Augenschein genommen hatte. Er war schon von Susi und Helga sehr angetan gewesen, aber Yvonne schlug alles. Jannis scharwenzelte dauernd um sie herum … aber er war natürlich Gentleman genug – im Gegensatz zu dem erwähnten Herren vom Olymp – nicht wirklich zudringlich zu werden.
Wir schliefen in der Regel mit Luftmatratzen auf dem Dach der kleinen Betonhütte am Hafen (auf einem der Fotos kann man den Rand des Daches im Vordergrund sehen). Das hatte den Vorteil, dass wir morgens Schatten hatten.
Jannis kochte übrigens sehr gut – in seine Küche sollte man aber besser nicht schauen. Erst in späteren Jahren half ich auch mal abends aus, bereitete Bauernsalate zu und kellnerte. Aber nur zum Spaß …
Wir ließen uns von der Transusigkeit des Dorfes anstecken, badeten und sonnten uns auf der Mole, aßen und tranken Unmengen von Jannis‘ Hauswein, den er in Plastiklitermaßen an den Tisch brachte. Meistens holten wir ihn uns aber selber, denn wie jedes Jahr zahlte ich nur einmal, nämlich bei der Abreise. Alles, was wir verzehrten, musste ich selbst notieren, dafür hatte Jannis keinen Nerv. Ich habe ihn übrigens nie betrogen, jedenfalls nicht absichtlich. Oft wurden wir zum Essen der Familie eingeladen (was aber nicht immer ganz meinem Geschmack entsprach … denn was seine Familie betraf, war Jannis ein ziemlicher Geizhals).
Auf den beiden Schwarz-Weiß-Fotos eine große Holztafel zu sehen, das war Jannis‘ „Speisekarte“. Natürlich standen da keine Preise drauf und er hatte auch nicht immer alles da, was darauf stand. Diese „Speisekarte“ gibt es heute noch, auch wenn das Lokal seit Jannis‘ Tod geschlossen ist.
Eines Tages passierte folgendes: Zwei Männer vom Ordnungsamt bestellten bei Jannis etwas zu essen und bekamen es auch. Nur hatte Jannis leider überhaupt keine Genehmigung, Essen anzubieten … Nachdem die beiden aufgegessen hatten, bezahlten sie und zeigten Jannis an, unter anderem mit der Begründung, man dürfe nicht kochen, wenn man keine Speisekarte hat. Da kamen sie bei Jannis aber nicht gut an. Mit Hilfe eines Freundes demontierte er die Tafel und karrte sie mit dem Pickup eines Bekannten zur Gerichtsverhandlung. Dort zeigte er seine „Speisekarte“ vor und wurde freigesprochen … er kochte bis zu seinem Tod weiter und keiner hat ihm je wieder Schwierigkeiten bereitet.
Jannis fuhr ein absolutes schrottreifes Moped, dies war sein einziges Fortbewegungsmittel. Die zwei Kilometer bis Timbáki schaffte er damit, aber dann und wann musste er auch nach Míres, um Zigarettennachschub einzukaufen. Ich glaube mich zu erinnern, dass es diesen Kioskwagen von 1976 noch nicht gab, damals lagerte Jannis die Zigaretten noch in Schubladen hinter dem Tresen.
Ein solcher Ausflug nach Míres bedeutete natürlich immer ein gewisses logistisches Problem, und so war er froh, wenn sich gerade ein Tourist bei ihm aufhielt, der über ein Auto verfügte. Ich war sein Lieblingsopfer …
Wir fuhren also morgens recht früh (Yvonne fuhr natürlich mit, die anderen schliefen noch) mit Jannis nach Míres. Er erledigte seine Einkäufe und dann gingen wir jedes Mal gemeinsam „frühstücken“. Ich setze das Wort hier in Anführungszeichen, denn es war für uns schon ungewöhnlich, morgens gegen neun Uhr in einer Psistariá (einer Grillstube) Platz zu nehmen und einen mit Koteletts überreichlich gefüllten Teller – einzige Beilage war Brot – zu verzehren. Dazu gab es pro Person mehrere Flaschen Bier, das ich ansonsten auch in diesem Jahr aus Kostengründen nicht trank. Mehr als gesättigt und alle leicht angesäuselt waren wir dann gegen halb elf wieder zurück in Kókkinos Pýrgos.
Yvonne ging gerne auch mal alleine spazieren, worüber sich Jannis immer wieder Sorgen machte. Zwar wussten alle im Dorf, dass sie die meine war – und bis auf eine einzige Ausnahme wurde sie auch nie belästigt – aber sie hätte sich ja was brechen können oder sonst was. Einmal sagte er den in die Annalen eingegangenen Satz zu ihr: „Du egal Ziega!“ Das sollte keine Beleidigung sein, sondern verdeutlichte nur, dass er es gar nicht so gut fand, wo sie überall herumkrauchte …
Ganz zu Beginn hatte Yvonne ihn scherzhaft gefragt, ob es im Meer Haifische gebe. Seine Antwort: „Nix im Meer, Eisfische (!) gibt nur an Strand!“
Aber auch der schönste Urlaub geht zu Ende. Die Rückfahrt mit der Fähre verlebten wir einmal mehr „luxuriös“. Zwar hatten wir nur Holzklasse gebucht, d. h. wir schliefen wieder an Deck, doch ein opulentes Abendessen sollte schon sein. Und so bastelte ich es zusammen. An einem windgeschützten Platz – man hatte ja inzwischen so seine Erfahrungen – entstand ein „kaltes Buffet“ vom Feinsten.
Ulrike hatte sich zwischenzeitlich selbständig gemacht und fuhr nicht mit uns zurück, dafür jemand anderes, die Achim kennen gelernt hatte und die sehr nett war.