Vanity Teil 2 – Elke Schroeder

Es war kurz nach elf mitten im September, als Vanity das Dorf in zwei Lager spaltete. Das der Lollybefürworter und das der Lollyhasser. Vanity ahnte nichts davon. Sie schlief bereits. Nackt und traumlos lag sie auf weißen Laken.

Hermes keuchte vor Anstrengung. Er wollte nicht von Nikos Schulter fallen. Krampfhaft klammerte er sich mit einer Hand an das Fensterbrett. Die andere krallte er in Nikos Lockenkopf. Jetzt glotzte er gierig auf Vanitys Schamhaar. Ein schmaler Streifen, braun und gekräuselt. Heller im zarten Rosa, zwischen den Beinen. Nikos schwankte.
„Du nimmst mir die Sicht, Fettsack“, rief er ärgerlich.

In der Tat lappte Hermes mächtiger Bauch wie eine umförmige Einkaufstüte über Nikos Gesicht.
„Außerdem schwellen deine Eier an. Sie strangulieren mich.“
Vanity drehte sich im Schlaf. Ihr Daumen fand den Mund, hielt ihn fest, saugte. Hermes stöhnte auf. Er war betrunken, schon, aber steif wie nie zuvor. Zitternd kletterte er von Nikos Schultern. Dann schlug er den Weg zum Strand ein. Wortlos.
Noch im Laufen öffnete er den Reißverschluß seiner Jeans, griff hinein, rieb sich den Schwanz mit der Hand, ein paar Mal nur. Samen vermischte sich mit Meeresgischt. Eine Sternschnuppe fiel glitzernd vom Himmel. Hermes hatte keine Wünsche. Er übergab sich. Zuviel Schnecken.

Mit Vanitys Eintreffen änderte sich das Leben in Tambiki schlagartig. Viele Männer legten die Arbeit nieder. Die wenigen Fischer, die ihre Netze noch auswarfen, vergaßen später, sie wieder einzuholen. Selbst, wenn sie daran dachten, nahmen sie den Fang nicht wahr oder ließen die zappelnden Fischleiber gleichgültig zurück ins Meer gleiten. Verträumt saßen sie in ihren Nußschalen, trieben ziellos vor der Küste umher.
„Woher komme ich?“ fragten sie sich. „Und was habe ich auf dem Meer zu schaffen?“

Aber am meisten beschäftigte sie die Frage, was Vanity wohl gerade trieb.
Fisch verfaulte in Eimern, Olivenbäume vertrockneten. Wasser tropfte aus porösen Schläuchen, versickerte an falschen Stellen. Aus den Gewächshäusern roch es faulig und in den Tavernen musste man sich selbst bedienen.
Die Frauen tobten. Sie erhoben die Stimmen und versprühten ihr Gift. Zuletzt drohten sie mit Liebesentzug. Das hatte immer gewirkt. Doch diesmal war es nutzlos. Diesmal stießen sie auf taube Ohren. Gelegentlich kam es schon mal zu Seitensprüngen. Das war allen klar, auch den Frischvermählten. Ein Gesetz der männlichen Natur, dem sie sich bereitwillig beugten. Wenn sich niemand erwischen ließ, nahm das Leben seinen Lauf. Und selbst, wenn die Sache herauskam, lief die Ehe nie wirklich Gefahr. Ein Machtwort reichte, um den Abtrünnigen in den Schoß der Familie zurückzuführen. Auch das war Gesetz der männlichen Natur, der feigen und sicherheitsliebenden. Sollten sie mit ihren Schwänzen doch anstellen, was sie wollten. Das Zepter der Macht lag ja doch in der Hand der Ehefrau. Im Hintergrund regierte sie. Sorgte für Familie, Ehre und Ansehen. Doch nun war die Hure mit den Lutschern gekommen. Verdrehte allen den Kopf. Trieb einen Keil in den häuslichen Frieden. Es ging so weit, daß die Männer begannen, ihr Haar zu waschen. Viel zu oft und mit duftenden Ölen.

„Bei uns riecht es wie in einem türkischen Badehaus“, beschwerte sich Katharina. Sie strich sich über den mächtigen Bauch. Schwanger im siebten Monat.
„Nikos ist verrückt geworden. Er badet. Stellt euch das vor. Badet den lieben langen Tag und zwickt mich in den Hintern. Wasserspielchen will er. Ich bin hochschwanger, verdammt noch mal!“
Die dürre Maria nickte ernst. Seit ihr Mann an den Rollstuhl gefesselt war, nahm sie nicht mehr zu. Tag für Tag schob sie das klobige alte Modell mit den quietschenden Reifen durch das Haus. Er könnte längst wieder gehen, wenn er wollte, sagte der Arzt. Doch Perikles wollte nicht. Er bestand darauf, geschoben zu werden. Seine Armmuskulatur war zu schwach, das Gefährt selbst in Schwung zu bringen. Das glaubte jedenfalls seine Frau. Es freute Perikles, sie hinter sich zu wissen. Zu sehen, wie sie sich abschuftete, quälte und den Reifen wütende Tritte versetzte. Für ein neues Modell brachte er kein Verständnis auf. Abend für Abend hievte sie ihn ins Ehebett, auf seine Matratze, während er sich so schwer wie möglich machte. Seit der Sache mit dem Rollstuhl war ihr das Lachen vergangen. Humor war ihr so fremd geworden wie Körperfett.

Maria trug ihr Haar hochgesteckt. Ein einfacher roter Herrenkamm hielt das monströse Gebilde auf ihrem Hinterkopf zusammen. Es war nicht leicht, ihren Worten zu folgen. Marias Stimme war unerträglich. Man dachte an ratternde Rührhaken auf Höchststufe. Maria wies auf ihre Frisur:
„Perikles will, dass ich das Haar wie sie trage“, hob sie an.
Roula kicherte. Dann platzte sie heraus:
„Mit dem Kamm siehst du jedenfalls aus wie ein zu groß geratener Hahn!“
Eine schwarzgekleidete Alte schlug erschrocken die Hand vor den Mund. Die anderen schauten befangen weg.

Maria presste die Lippen zusammen. Es entstand ein dünner erzürnter Strich. Drohend baute sie sich vor Roula auf.
„Nichts für ungut!“ murmelte diese und wandte sich zum Gehen. Maria riß sie an den Haaren zurück. Mit einem kräftigen Ruck. Roula schrie auf. Der plötzliche Schmerz trieb ihr Tränen in die Augen.
„Laß mich los, du hagere Henne,“ schrie sie.
Maria dachte nicht daran. Sie umklammerte Roulas Haaransatz und begann, daran zu ziehen. Roula ging wimmernd in die Knie. Schien aufzugeben. Dann holte sie aus und schlug zu. Mit ihrer kleinen Faust direkt auf die Hahnennase. Maria jaulte überrascht auf. Blut schoss aus ihrer Nase. Roula konnte sich befreien. Sie rannte davon.
„Du Miststück!“ schrie Maria ihr hinterher.
Sie wollte nach einem Stein greifen, bückte sich.

Katharina hielt sie zurück, gab ihr ein Taschentuch.
„Lass die kleine Schlampe. Sie ist nicht besser als die Fremde. Gestern hab ich sie erwischt. Vor dem Spiegel mit einem Lolly … hat versucht, diese Hure nachzuahmen … wißt ihr übrigens …“
Die Frauen der Fischer tuschelten noch lange. Erst als die Sonne im Meer versank, rot und feurig, stoben sie eilig auseinander. Wie aufgeschreckte Hühner.

Michalis beobachtete seine Frau. Mit flinken Bewegungen leerte sie die Wäschetrommel. In letzter Zeit gab es viel zu waschen. Hauptsächlich Taxifahrerhosen.
Seit Tagen schon stellte er Vanity nach. Natürlich in seinem Taxi. Das fiel nicht weiter auf. Er fuhr oft durch das Dorf, um Touristen zu befördern. Heute war seine Geduld belohnt worden. Er sah Vanity vor der Kirche. Sie spielte dort Fußball. Die Kinder mochten sie, war sie doch selbst noch ein Kind. Außerdem schenkte sie ihnen Lollys.
Michalis erinnerte sich: Vanity jagte dem Ball nach. Mit weißen Turnschuhen und straffen Oberschenkeln. Ihr langes Haar war zu einem Zopf gebunden. Einmal stolperte sie. Die Kinder kreischten vor Vergnügen und purzelten über sie. Vanity lachte und nahm den Kleinsten Huckepack. Sie rannte mit ihm um den Platz. Der Junge schlang die Arme um ihren Hals. Unschuldige Hände berührten flüchtig ihren Busen. Vanity trug ein Bikinioberteil in den Farben der amerikanischen Flagge. Nebenan in den Tavernen saßen die Fischer. In sauberen Kleidern und mit geölten Haaren. Ein Fußballspiel der Champions League wurde übertragen. Griechenland gegen Türkei. Der Fernseher blieb unbeachtet. Es gab ein wichtigeres Spiel: Vanity gegen die Kinder. Ein Fischer erinnerte sich plötzlich seiner Vaterrolle und schloss sich dem Spiel der Kinder an. Sein Sohn war überglücklich. Andere Väter folgten nach. Bald war der kleine Platz vor der Kirche voller Menschen. So voll wie sonst nur an kirchlichen Feiertagen. Väter und Kinder in einträchtiger Freude. Mittendrin stand Vanity und machte den Torwart.

Michalis verspürte Eifersucht. Wo zum Teufel war sein verdammter Sohn? Warum spielte der dumme Bengel lieber Geige?
Mißmutig fuhr er nach Hause.
Mißmutig betrachtete er jetzt seine Frau. Noch immer hockte sie vor der Waschmaschine. Die derben Waden in den löchrigen Nylonstrümpfen machten ihn wütend. Sein Zorn erregte ihn. Ließ sein Glied erneut anschwellen. Er hörte nichts mehr. Zuviel Blut rauschte durch seine Ohren, laut und pochend.
Er stand auf, trat an die Waschmaschine. Seine Hand fasste zwischen das Nylon, zeriss es, wanderte höher, unter den Rock. Sie ließ es sich gefallen, lachte albern. Das machte ihn noch größer. Seine Finger fassten in Haare, glitten in Nässe. Das Luder ist feucht, dachte er. Feucht wie ihre Wäsche. Michalis öffnete seine Hose. Dann schob er ihren Rock hoch. Hart und groß drang er in sie ein. Die Hitze verschlang seinen Zorn. Als er kam, war das Fußballspiel zu Ende. Griechenland hatte 2:1 gewonnen.

Perikles zählte Geld. Seit dem Unfall bekam er eine kleine Rente. Maria wusste nichts davon. Sie arbeitete im Gewächshaus. Das Gemüse verkaufte sie auf dem Wochenmarkt. Davon ließ sich nicht leben. Also half sie abends in Katharinas Taverne, spülte Geschirr und kochte für Touristen. Perikles genoss ihre Abwesenheit. Sobald sie das Haus verließ, rollte er durch das Haus. Das Quietschen der alten Reifen störte ihn nicht. Er hatte sich daran gewöhnt. Von Zimmer zu Zimmer fuhr er und durchsuchte die Schränke. Er wollte sichergehen, dass sie kein Geld versteckte. Seit einiger Zeit hatte er das Gefühl, daß sie fort wollte. Fort von ihm und seinem Rollstuhl. Das musste er verhindern. Sie sollte büßen. Buße für sein verlorenes Leben, für die falsche Entscheidung. Deshalb drehte er jeden Topf um und untersuchte die Buchseiten ihrer albernen Krimis. Er schaute sogar in den Backofen. Seit den ausgiebigen Exkursionen durch das Haus war seine Armmuskulatur noch kräftiger geworden. Sein Geld führte Perikles stets bei sich. Es steckte unter dem Sitz seines Rollstuhls. Dort war es sicher. Maria hasste den Stuhl. Sie hasste auch ihn, und das wiederum freute ihn. Er hatte Maria nie heiraten wollten. Aber sie besaß Olivenbäume. Mehr als seine Familie in hundert Jahren jemals besessen hätte. Maria hatte Grundbesitz und damit den Segen seiner Eltern. Perikles war jung und voller Ideale, damals, als er sich dem Willen seines Vaters beugte und in die Heirat einwilligte. Dabei gehörte sein Herz einer anderen, einer jüngeren mit weniger Land. Kurz nach seiner Hochzeit ging sie fort. Aus Kummer, sagten die Leute. Perikles suchte sie. Seit Jahren schon. Dafür brauchte er all sein Geld. Seit dem Unfall hatte er die Suche aufgegeben. Wer wollte schon einen Mann im Rollstuhl? Perikles wollte sterben. Doch vorher musste er die schöne Fremde treffen. Ihr sein Geld geben und den Lohn einstreichen. Den letzten in seinem Leben. Es war viertel nach neun, Ende September und Perikles verbarg das Gesicht in den Händen. Er weinte.

Manolis kontrollierte den Warenbestand. Er stand vor dem Regal mit den Sonnenschutzmitteln. Es war leer. Verdutzt kratzte er sich an der Stirn. Er konnte sich nicht erinnern, so viel Sonnenmilch verkauft zu haben. Sicher gab es eine Erklärung. Er würde seinen Sohn fragen. Hermes vertrat ihn regelmäßig in den Nachmittagsstunden.
Manolis ging weiter. Er schritt die Regale ab. Ab und zu schrieb er etwas auf einen Block. Machte Notizen und zog Spalten. Nun stand er vor den Kondomen. Sie waren weg. Alle. Auch die Ladenhüter, die mit Kirschgeschmack. Manolis sog hörbar den Atem ein. Etwas schlug in ihm Alarm. Eilig schritt er zur Ladentür, trat hinaus auf den kleinen Supermarktparkplatz. Er blickte auf die andere Straßenseite, zu dem Haus mit grüngestrichener Fassade. Das obere Fenster war geöffnet. Manolis legte die Hände um seinen Mund, formte einen Trichter.
„Hermes!“ schrie er laut.
Dann noch mal: „Hermes! Beweg deinen dicken Arsch hier runter. Du hast mir was zu erklären.“
Hermes kam nicht.

Von Elke Schroeder

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